Menschen. Cesars. Die Königin von Baiern mit den sechs Töchtern; die alle, ich habe sie nun lange genau gesehen, schauende Gesichter haben, Physionomie, unaffektirtes aus den Augen sehen; nichts Verzogenes an sich haben; ganz reine Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerksamkeit auf al- les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien- artiges; was so leicht bei sechs vorkommen kann, und bei bestimmten Hofmeisterinnen. Sie sind nicht ein bischen ver- ärgert, oder über irgend etwas empört gewesen, sondern neh- men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir sehr; Gott gebe, daß sie so bleiben! für alle Länder, wo sie hinkommen können: und für sich selbst. Ich versichre dich, jede aparte, hat eine andere, und hübsche Physionomie; ei- nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du siehst ich studirte sie den ganzen Abend. Dazu gab die Kö- nigin gute Gelegenheit, die die Pause unendlich verzögerte, erst mit dem französischen Gesandten Grafen Lagarde spre- chend, der im Überrock dicht hinter ihr saß, und mit dem sie auch oft während des Konzerts sprach: und dann zur Signora Spada hinschreitend, vor den Musikern vorbei, bis an den Kanape und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo sie andert- halb Viertelstunden sich mit ihr unterhielt: ich begriff den Gegenstand des Gesprächs nicht, wenn auch den Grund. Die Königin mochte mit einer Dame, die sich dort befand, nicht sprechen; das war zu deutlich! Unterdeß sprachen alle sechs Prinzeßchen, sich hin und her bewegend, stehend, anlegend, munter, und bescheiden, mit Fürstin Fürstenberg, die auch in
Menſchen. Ceſars. Die Königin von Baiern mit den ſechs Töchtern; die alle, ich habe ſie nun lange genau geſehen, ſchauende Geſichter haben, Phyſionomie, unaffektirtes aus den Augen ſehen; nichts Verzogenes an ſich haben; ganz reine Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerkſamkeit auf al- les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien- artiges; was ſo leicht bei ſechs vorkommen kann, und bei beſtimmten Hofmeiſterinnen. Sie ſind nicht ein bischen ver- ärgert, oder über irgend etwas empört geweſen, ſondern neh- men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir ſehr; Gott gebe, daß ſie ſo bleiben! für alle Länder, wo ſie hinkommen können: und für ſich ſelbſt. Ich verſichre dich, jede aparte, hat eine andere, und hübſche Phyſionomie; ei- nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du ſiehſt ich ſtudirte ſie den ganzen Abend. Dazu gab die Kö- nigin gute Gelegenheit, die die Pauſe unendlich verzögerte, erſt mit dem franzöſiſchen Geſandten Grafen Lagarde ſpre- chend, der im Überrock dicht hinter ihr ſaß, und mit dem ſie auch oft während des Konzerts ſprach: und dann zur Signora Spada hinſchreitend, vor den Muſikern vorbei, bis an den Kanapé und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo ſie andert- halb Viertelſtunden ſich mit ihr unterhielt: ich begriff den Gegenſtand des Geſprächs nicht, wenn auch den Grund. Die Königin mochte mit einer Dame, die ſich dort befand, nicht ſprechen; das war zu deutlich! Unterdeß ſprachen alle ſechs Prinzeßchen, ſich hin und her bewegend, ſtehend, anlegend, munter, und beſcheiden, mit Fürſtin Fürſtenberg, die auch in
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Menſchen. Ceſars. Die Königin von Baiern mit den ſechs
Töchtern; die alle, ich habe ſie nun lange genau geſehen,
ſchauende Geſichter haben, Phyſionomie, unaffektirtes aus den
Augen ſehen; nichts Verzogenes an ſich haben; ganz reine
Naturen; und die gehörige natürliche Aufmerkſamkeit auf al-
les was ihnen nur vorkommt; nichts Anerzogenes, Familien-
artiges; was ſo leicht bei ſechs vorkommen kann, und bei
beſtimmten Hofmeiſterinnen. Sie ſind nicht ein bischen ver-
ärgert, oder über irgend etwas empört geweſen, ſondern neh-
men die Welt klug und gutmüthig auf. Sie gefielen mir
ſehr; Gott gebe, daß ſie ſo bleiben! für alle Länder, wo ſie
hinkommen können: und für ſich ſelbſt. Ich verſichre dich,
jede aparte, hat eine andere, und hübſche Phyſionomie; ei-
nige auffallend bedeutend; alle angenehm und natürlich, du
ſiehſt ich ſtudirte ſie den ganzen Abend. Dazu gab die Kö-
nigin gute Gelegenheit, die die Pauſe unendlich verzögerte,
erſt mit dem franzöſiſchen Geſandten Grafen Lagarde ſpre-
chend, der im Überrock dicht hinter ihr ſaß, und mit dem ſie
auch oft während des Konzerts ſprach: und dann zur Signora
Spada hinſchreitend, vor den Muſikern vorbei, bis an den
Kanapé und Spiegel an der Wand, wozu Signora Spada
aus einem Nebenzimmer herein treten mußte; wo ſie andert-
halb Viertelſtunden ſich mit ihr unterhielt: ich begriff den
Gegenſtand des Geſprächs nicht, wenn auch den Grund. Die
Königin mochte mit einer Dame, die ſich dort befand, nicht
ſprechen; das war zu deutlich! Unterdeß ſprachen alle ſechs
Prinzeßchen, ſich hin und her bewegend, ſtehend, anlegend,
munter, und beſcheiden, mit Fürſtin Fürſtenberg, die auch in
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/592>, abgerufen am 22.11.2024.
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