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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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Mama? Noch denk' ich's. Und Köln wollen Sie sehen!
das verrückte Nest. Diesen leider versteinerten Koloß der alt-
fränkischen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den sie jetzt so
berühmt machen wollen! Wo einem unsinnig drin zu Muthe
wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corso, kein
Gesicht hat; keine Aussicht: die selbst dem Rhein das Hinterste
zukehrt. Auch der Dom ist nicht, wie der Wiener, der Straß-
burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunstsinn
und technischem Urtheil ausgestatteten Bauverständigen kann
er Interesse haben; wir haben keinen Eindruck davon; sehen
Latten und Bretter. Unsere Regierung und ihre Legaten ar-
beiten sich ab, dem Modegeschrei Genüge zu thun und den
dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer
einen sterbenden unartigen Greis wieder zum frischen, nah-
rungsgedeihenden, aufwachsenden Kinde! Zwar ist es auch
schwer, solches Unthier untergehen zu lassen; nur soll man die
alte Zeit nicht durch ihn herzustellen glauben; die ist vorbei-
geflossen wie der Rhein. Köln ist ein Wahrzeichen römischer
Herrschaft außer römischen Landes; römischen Untergangs;
deutschen Aufstrebens; geschickt, und ungeschickt: und nie Rom
los werdend, bis heutiger Stunde; wir hiesigen Völker alle!
Wenn man's abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und
bequem konstruiren könnte, so wär's ein Glück! Da komm'
ich Doktor Schlosser gut an! und vielen Neuern! Ich glaube,
Bärstecher wird mir eher beitreten. Also wann reisen Sie?
wann kommen Sie? Nicht so spät! Sie theilen Mama mei-
nen Brief mit: Sie können ihn gut übersetzen. Sie verstehen
vortrefflich mein Deutsch, und mein Französisch! zwei fremde,

Mama? Noch denk’ ich’s. Und Köln wollen Sie ſehen!
das verrückte Neſt. Dieſen leider verſteinerten Koloß der alt-
fränkiſchen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den ſie jetzt ſo
berühmt machen wollen! Wo einem unſinnig drin zu Muthe
wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corſo, kein
Geſicht hat; keine Ausſicht: die ſelbſt dem Rhein das Hinterſte
zukehrt. Auch der Dom iſt nicht, wie der Wiener, der Straß-
burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunſtſinn
und techniſchem Urtheil ausgeſtatteten Bauverſtändigen kann
er Intereſſe haben; wir haben keinen Eindruck davon; ſehen
Latten und Bretter. Unſere Regierung und ihre Legaten ar-
beiten ſich ab, dem Modegeſchrei Genüge zu thun und den
dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer
einen ſterbenden unartigen Greis wieder zum friſchen, nah-
rungsgedeihenden, aufwachſenden Kinde! Zwar iſt es auch
ſchwer, ſolches Unthier untergehen zu laſſen; nur ſoll man die
alte Zeit nicht durch ihn herzuſtellen glauben; die iſt vorbei-
gefloſſen wie der Rhein. Köln iſt ein Wahrzeichen römiſcher
Herrſchaft außer römiſchen Landes; römiſchen Untergangs;
deutſchen Aufſtrebens; geſchickt, und ungeſchickt: und nie Rom
los werdend, bis heutiger Stunde; wir hieſigen Völker alle!
Wenn man’s abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und
bequem konſtruiren könnte, ſo wär’s ein Glück! Da komm’
ich Doktor Schloſſer gut an! und vielen Neuern! Ich glaube,
Bärſtecher wird mir eher beitreten. Alſo wann reiſen Sie?
wann kommen Sie? Nicht ſo ſpät! Sie theilen Mama mei-
nen Brief mit: Sie können ihn gut überſetzen. Sie verſtehen
vortrefflich mein Deutſch, und mein Franzöſiſch! zwei fremde,

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[569/0577] Mama? Noch denk’ ich’s. Und Köln wollen Sie ſehen! das verrückte Neſt. Dieſen leider verſteinerten Koloß der alt- fränkiſchen Tollheiten und Unbequemlichkeiten, den ſie jetzt ſo berühmt machen wollen! Wo einem unſinnig drin zu Muthe wird. Eine Stadt, die keinen Mittelpunkt, keinen Corſo, kein Geſicht hat; keine Ausſicht: die ſelbſt dem Rhein das Hinterſte zukehrt. Auch der Dom iſt nicht, wie der Wiener, der Straß- burger, erhebend, Ruhe gebietend: nur für einen mit Kunſtſinn und techniſchem Urtheil ausgeſtatteten Bauverſtändigen kann er Intereſſe haben; wir haben keinen Eindruck davon; ſehen Latten und Bretter. Unſere Regierung und ihre Legaten ar- beiten ſich ab, dem Modegeſchrei Genüge zu thun und den dekrepiten Koloß wieder aufzupäpplen: aber mache mal einer einen ſterbenden unartigen Greis wieder zum friſchen, nah- rungsgedeihenden, aufwachſenden Kinde! Zwar iſt es auch ſchwer, ſolches Unthier untergehen zu laſſen; nur ſoll man die alte Zeit nicht durch ihn herzuſtellen glauben; die iſt vorbei- gefloſſen wie der Rhein. Köln iſt ein Wahrzeichen römiſcher Herrſchaft außer römiſchen Landes; römiſchen Untergangs; deutſchen Aufſtrebens; geſchickt, und ungeſchickt: und nie Rom los werdend, bis heutiger Stunde; wir hieſigen Völker alle! Wenn man’s abzeichnen, und dann abbrechen, und neu und bequem konſtruiren könnte, ſo wär’s ein Glück! Da komm’ ich Doktor Schloſſer gut an! und vielen Neuern! Ich glaube, Bärſtecher wird mir eher beitreten. Alſo wann reiſen Sie? wann kommen Sie? Nicht ſo ſpät! Sie theilen Mama mei- nen Brief mit: Sie können ihn gut überſetzen. Sie verſtehen vortrefflich mein Deutſch, und mein Franzöſiſch! zwei fremde,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 569. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/577>, abgerufen am 22.11.2024.