dann wäre jede Ehe, schon bloß als solche, der höchste mensch- liche Zustand: so aber ist es nicht: und man liebt, hegt, pflegt wohl die Wünsche der Seinigen; fügt sich ihnen; macht sie sich zur höchsten Sorge, und dringendsten Beschäftigung: aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit, und Tragen, können die uns nicht; oder auf unser ganzes Leben hinaus stärken und kräftigen. Dies ist der Grund des vielen Frivolen, was man bei Weibren sieht, und zu sehen glaubt: sie haben der beklatschten Regel nach gar keinen Raum für ihre eigene Füße, müssen sie nur immer dahin setzen, wo der Mann eben stand, und stehen will; und sehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre, jeder Versuch, jeder Wunsch, den unnatürlichen Zustand zu lösen, wird Frivolität genannt; oder noch für strafwürdiges Benehmen gehalten. Darum mußt du und ich ein wenig an- gefrischt werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief gelesen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun- den für künftigen Sommer, und schlug mir gleich vor, zu dir zu gehen -- nach Gesundheit und Jahreszeit. Ich stellte ihm die Sache vor, wie sie ist: und er sah es gleich ein. Mit dir aber, theure liebe Rose! mag ich jetzt noch von keiner Reise reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat. --
-- Auch ich thue nichts Unsinniges und Verschwendrisches: bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave der Vernunft, so nennt man mit Recht das, was man für's Ersprießlichste erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus nicht hohem Gesichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das
dann wäre jede Ehe, ſchon bloß als ſolche, der höchſte menſch- liche Zuſtand: ſo aber iſt es nicht: und man liebt, hegt, pflegt wohl die Wünſche der Seinigen; fügt ſich ihnen; macht ſie ſich zur höchſten Sorge, und dringendſten Beſchäftigung: aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit, und Tragen, können die uns nicht; oder auf unſer ganzes Leben hinaus ſtärken und kräftigen. Dies iſt der Grund des vielen Frivolen, was man bei Weibren ſieht, und zu ſehen glaubt: ſie haben der beklatſchten Regel nach gar keinen Raum für ihre eigene Füße, müſſen ſie nur immer dahin ſetzen, wo der Mann eben ſtand, und ſtehen will; und ſehen mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer, der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre, jeder Verſuch, jeder Wunſch, den unnatürlichen Zuſtand zu löſen, wird Frivolität genannt; oder noch für ſtrafwürdiges Benehmen gehalten. Darum mußt du und ich ein wenig an- gefriſcht werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief geleſen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun- den für künftigen Sommer, und ſchlug mir gleich vor, zu dir zu gehen — nach Geſundheit und Jahreszeit. Ich ſtellte ihm die Sache vor, wie ſie iſt: und er ſah es gleich ein. Mit dir aber, theure liebe Roſe! mag ich jetzt noch von keiner Reiſe reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat. —
— Auch ich thue nichts Unſinniges und Verſchwendriſches: bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave der Vernunft, ſo nennt man mit Recht das, was man für’s Erſprießlichſte erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus nicht hohem Geſichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0573"n="565"/>
dann wäre <hirendition="#g">jede</hi> Ehe, ſchon bloß als ſolche, der höchſte menſch-<lb/>
liche Zuſtand: ſo aber iſt es <hirendition="#g">nicht</hi>: und man liebt, hegt,<lb/>
pflegt wohl die Wünſche der Seinigen; fügt ſich ihnen; macht<lb/>ſie ſich zur höchſten Sorge, und dringendſten Beſchäftigung:<lb/>
aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit,<lb/>
und Tragen, können die uns nicht; oder auf unſer ganzes<lb/>
Leben hinaus ſtärken und kräftigen. Dies iſt der Grund des<lb/>
vielen Frivolen, was man bei Weibren ſieht, und zu ſehen<lb/>
glaubt: ſie haben der beklatſchten Regel nach gar keinen<lb/>
Raum für ihre eigene Füße, müſſen ſie nur immer <hirendition="#g">dah</hi>in<lb/>ſetzen, wo der Mann eben ſtand, und ſtehen will; und ſehen<lb/>
mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer,<lb/>
der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre,<lb/>
jeder Verſuch, jeder Wunſch, den unnatürlichen Zuſtand zu<lb/>
löſen, wird Frivolität genannt; oder noch für ſtrafwürdiges<lb/>
Benehmen gehalten. <hirendition="#g">Dar</hi>um mußt du und ich ein wenig an-<lb/>
gefriſcht werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief<lb/>
geleſen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun-<lb/>
den für künftigen Sommer, und ſchlug mir gleich vor, zu <hirendition="#g">dir</hi><lb/>
zu gehen — nach Geſundheit und Jahreszeit. Ich ſtellte ihm<lb/>
die Sache vor, wie ſie iſt: und er ſah es gleich ein. Mit dir<lb/>
aber, theure liebe Roſe! mag ich jetzt noch von keiner Reiſe<lb/>
reden: wozu dies im Januar, da es bis <hirendition="#g">Juni</hi> Zeit hat. —</p><lb/><p>— Auch ich thue nichts Unſinniges und Verſchwendriſches:<lb/>
bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave<lb/>
der Vernunft, ſo nennt man mit Recht das, was man für’s<lb/>
Erſprießlichſte erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus<lb/>
nicht hohem Geſichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[565/0573]
dann wäre jede Ehe, ſchon bloß als ſolche, der höchſte menſch-
liche Zuſtand: ſo aber iſt es nicht: und man liebt, hegt,
pflegt wohl die Wünſche der Seinigen; fügt ſich ihnen; macht
ſie ſich zur höchſten Sorge, und dringendſten Beſchäftigung:
aber erfüllen, erholen, uns ausruhen, zu fernerer Thätigkeit,
und Tragen, können die uns nicht; oder auf unſer ganzes
Leben hinaus ſtärken und kräftigen. Dies iſt der Grund des
vielen Frivolen, was man bei Weibren ſieht, und zu ſehen
glaubt: ſie haben der beklatſchten Regel nach gar keinen
Raum für ihre eigene Füße, müſſen ſie nur immer dahin
ſetzen, wo der Mann eben ſtand, und ſtehen will; und ſehen
mit ihren Augen die ganze bewegte Welt, wie etwa Einer,
der wie ein Baum mit Wurzlen in der Erde verzaubert wäre,
jeder Verſuch, jeder Wunſch, den unnatürlichen Zuſtand zu
löſen, wird Frivolität genannt; oder noch für ſtrafwürdiges
Benehmen gehalten. Darum mußt du und ich ein wenig an-
gefriſcht werden! Varnh., gleich nachdem wir deinen Brief
geleſen hatten, vergaß alle Verabredungen mit manchen Freun-
den für künftigen Sommer, und ſchlug mir gleich vor, zu dir
zu gehen — nach Geſundheit und Jahreszeit. Ich ſtellte ihm
die Sache vor, wie ſie iſt: und er ſah es gleich ein. Mit dir
aber, theure liebe Roſe! mag ich jetzt noch von keiner Reiſe
reden: wozu dies im Januar, da es bis Juni Zeit hat. —
— Auch ich thue nichts Unſinniges und Verſchwendriſches:
bei der größten Freiheit: und bin ein untergehender Sklave
der Vernunft, ſo nennt man mit Recht das, was man für’s
Erſprießlichſte erkennt: nur beurtheilt man dies zu oft aus
nicht hohem Geſichtspunkt genug, und zu untergeordnet: das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 565. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/573>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.