nur quälen, und nie helfen. Die hiesigen. -- -- Frau von Stael über die französische Revolution! Dieses europäische Buch, weil ganz Europa es liest, ist nicht so gut, als seine Wirkung sein wird; sie sagt alles: wiederholt alles; und sich selbst auf jeder Seite, dies oft in Antithesen, also nicht allein mit Löffeln eingegeben, sondern mit Messern eingeschärft, was nun einmal noch nicht in Europa's Blut gegangen ist. Es ist keine Ruhe in der Frau, und sie wäre nie reif geworden, hätte sie auch so lange gelebt, als ich es ihr wünschte. Ver- stand hat sie genug, aber keine horchende Seele, nie ist es still in ihr; nie als ob sie allein nachdächte, immer als ob sie's schon Vielen sagte; ihr thaten die frühen Gesellschaftssäle Scha- den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwischen Geistes- thätigkeit und andrer. Gleich kam sie wieder auf den Beifall zurück: und da sie nicht gemein war, so soll es die posterite ausrichten, für die, für deren Beifall, will sie und sollen alle Bessern alles thun! Aber sie rüttelt in ihrem Buche tüchtig hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede sein soll. Haben Sie eine gutgeschriebene, das Buch von einer Seite gut betrachtende Kritik im Liberal gelesen? Sehr schlecht schreibt die Stael; oft gar nicht wie eine Französin; ich meine nicht die Stellen, wo sie neue Wendungen gebraucht oder neue Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht, sie stellen sich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftstel- lern, wie jedes gern dem Meister sich fügt. Stunden lang könnte ich noch über sie sprechen. Alles ist a rebours bei ihr, als striche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt, ich sehe die Worte in Aufruhr um sie her, wie fliegende Gei-
nur quälen, und nie helfen. Die hieſigen. — — Frau von Staël über die franzöſiſche Revolution! Dieſes europäiſche Buch, weil ganz Europa es lieſt, iſt nicht ſo gut, als ſeine Wirkung ſein wird; ſie ſagt alles: wiederholt alles; und ſich ſelbſt auf jeder Seite, dies oft in Antitheſen, alſo nicht allein mit Löffeln eingegeben, ſondern mit Meſſern eingeſchärft, was nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen iſt. Es iſt keine Ruhe in der Frau, und ſie wäre nie reif geworden, hätte ſie auch ſo lange gelebt, als ich es ihr wünſchte. Ver- ſtand hat ſie genug, aber keine horchende Seele, nie iſt es ſtill in ihr; nie als ob ſie allein nachdächte, immer als ob ſie’s ſchon Vielen ſagte; ihr thaten die frühen Geſellſchaftsſäle Scha- den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwiſchen Geiſtes- thätigkeit und andrer. Gleich kam ſie wieder auf den Beifall zurück: und da ſie nicht gemein war, ſo ſoll es die postérité ausrichten, für die, für deren Beifall, will ſie und ſollen alle Beſſern alles thun! Aber ſie rüttelt in ihrem Buche tüchtig hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede ſein ſoll. Haben Sie eine gutgeſchriebene, das Buch von einer Seite gut betrachtende Kritik im Libéral geleſen? Sehr ſchlecht ſchreibt die Staël; oft gar nicht wie eine Franzöſin; ich meine nicht die Stellen, wo ſie neue Wendungen gebraucht oder neue Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht, ſie ſtellen ſich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftſtel- lern, wie jedes gern dem Meiſter ſich fügt. Stunden lang könnte ich noch über ſie ſprechen. Alles iſt à rebours bei ihr, als ſtriche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt, ich ſehe die Worte in Aufruhr um ſie her, wie fliegende Gei-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0550"n="542"/><hirendition="#g">nur</hi> quälen, und nie helfen. Die hieſigen. —— Frau von<lb/>
Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l über die franzöſiſche Revolution! Dieſes europäiſche<lb/>
Buch, weil ganz Europa es lieſt, iſt nicht ſo gut, als ſeine<lb/>
Wirkung ſein wird; ſie ſagt alles: wiederholt alles; und ſich<lb/>ſelbſt auf jeder Seite, dies oft in Antitheſen, alſo nicht allein<lb/>
mit Löffeln eingegeben, ſondern mit Meſſern eingeſchärft, was<lb/>
nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen iſt. Es<lb/>
iſt keine Ruhe in der Frau, und ſie wäre nie reif geworden,<lb/>
hätte ſie auch ſo lange gelebt, als ich es ihr wünſchte. Ver-<lb/>ſtand hat ſie genug, aber keine horchende Seele, nie iſt es ſtill<lb/>
in ihr; nie als ob ſie allein nachdächte, immer als ob ſie’s<lb/>ſchon Vielen ſagte; ihr thaten die frühen Geſellſchaftsſäle Scha-<lb/>
den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwiſchen Geiſtes-<lb/>
thätigkeit und andrer. Gleich kam ſie wieder auf den Beifall<lb/>
zurück: und da ſie nicht gemein war, ſo ſoll es die <hirendition="#aq">postérité</hi><lb/>
ausrichten, für die, für deren Beifall, will ſie und ſollen alle<lb/>
Beſſern alles thun! Aber ſie rüttelt in ihrem Buche tüchtig<lb/>
hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede<lb/>ſein ſoll. Haben Sie eine gutgeſchriebene, das Buch von einer<lb/>
Seite gut betrachtende Kritik im <hirendition="#aq">Libéral</hi> geleſen? Sehr ſchlecht<lb/>ſchreibt die Sta<hirendition="#aq">ë</hi>l; oft gar nicht wie eine Franzöſin; ich meine<lb/>
nicht die Stellen, wo ſie neue Wendungen gebraucht oder neue<lb/>
Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht,<lb/>ſie ſtellen ſich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftſtel-<lb/>
lern, wie jedes <hirendition="#g">gern</hi> dem Meiſter ſich fügt. Stunden lang<lb/>
könnte ich noch über ſie ſprechen. Alles iſt <hirendition="#aq">à rebours</hi> bei ihr,<lb/>
als ſtriche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt,<lb/>
ich ſehe die Worte in Aufruhr um ſie her, wie fliegende Gei-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[542/0550]
nur quälen, und nie helfen. Die hieſigen. — — Frau von
Staël über die franzöſiſche Revolution! Dieſes europäiſche
Buch, weil ganz Europa es lieſt, iſt nicht ſo gut, als ſeine
Wirkung ſein wird; ſie ſagt alles: wiederholt alles; und ſich
ſelbſt auf jeder Seite, dies oft in Antitheſen, alſo nicht allein
mit Löffeln eingegeben, ſondern mit Meſſern eingeſchärft, was
nun einmal noch nicht in Europa’s Blut gegangen iſt. Es
iſt keine Ruhe in der Frau, und ſie wäre nie reif geworden,
hätte ſie auch ſo lange gelebt, als ich es ihr wünſchte. Ver-
ſtand hat ſie genug, aber keine horchende Seele, nie iſt es ſtill
in ihr; nie als ob ſie allein nachdächte, immer als ob ſie’s
ſchon Vielen ſagte; ihr thaten die frühen Geſellſchaftsſäle Scha-
den. Es war kein Verhältniß in ihrer Seele zwiſchen Geiſtes-
thätigkeit und andrer. Gleich kam ſie wieder auf den Beifall
zurück: und da ſie nicht gemein war, ſo ſoll es die postérité
ausrichten, für die, für deren Beifall, will ſie und ſollen alle
Beſſern alles thun! Aber ſie rüttelt in ihrem Buche tüchtig
hin und her; und daher alles auf, wovon allerdings die Rede
ſein ſoll. Haben Sie eine gutgeſchriebene, das Buch von einer
Seite gut betrachtende Kritik im Libéral geleſen? Sehr ſchlecht
ſchreibt die Staël; oft gar nicht wie eine Franzöſin; ich meine
nicht die Stellen, wo ſie neue Wendungen gebraucht oder neue
Worte; aber es klingt nie, ihr Ohr lockt die Worte nicht,
ſie ſtellen ſich ihr nicht willig, wie bei den guten Schriftſtel-
lern, wie jedes gern dem Meiſter ſich fügt. Stunden lang
könnte ich noch über ſie ſprechen. Alles iſt à rebours bei ihr,
als ſtriche man Halme aufwärts, keine Süßigkeit: mich dünkt,
ich ſehe die Worte in Aufruhr um ſie her, wie fliegende Gei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 542. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/550>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.