Oft entschlag' ich mich aller Sorge, und stelle dann alles Gott anheim, als dem besten Freund und Vater, mit dem ich mich ganz unaussprechlich gut stehe. Ja, wir sind auf einem ganz vertrauten Fuß. "Er wird's schon wissen und machen," denk' ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und schlummre so zu Füßen ein wenig, so unten an seinem Mantel!
An Scholz, in Frankfurt a. M.
Baden, den 22. Juni 1818.
-- Dann herrschte hier, nach bedeutender Kälte, seit mehr als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann, und mich darauf bis zum Nervenunsinn peinigt. Dies be- steht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und Blende, wobei ein Nordostwind nicht zu herrschen nachläßt; Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art kalter, feuchter Massen, die in klarster Luft und unter hellsten Sternen sich langsam herunterlassen, hin und her bewegen, und sich wie unsichtbare Thiere auf einen setzen. Diese Phä- nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergestalt, daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör ausstand. Seit sechs, acht Tagen ist dies besser: nach einem Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere noch Abends ihr Zauberwesen treiben. Wollen nur, es gelingt ihnen nur viertelstundenweise. Dabei ist natürlich für mich an keinen Gebrauch der Wässer zu denken, die mich ohnehin
Oft entſchlag’ ich mich aller Sorge, und ſtelle dann alles Gott anheim, als dem beſten Freund und Vater, mit dem ich mich ganz unausſprechlich gut ſtehe. Ja, wir ſind auf einem ganz vertrauten Fuß. „Er wird’s ſchon wiſſen und machen,“ denk’ ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und ſchlummre ſo zu Füßen ein wenig, ſo unten an ſeinem Mantel!
An Scholz, in Frankfurt a. M.
Baden, den 22. Juni 1818.
— Dann herrſchte hier, nach bedeutender Kälte, ſeit mehr als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann, und mich darauf bis zum Nervenunſinn peinigt. Dies be- ſteht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und Blende, wobei ein Nordoſtwind nicht zu herrſchen nachläßt; Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art kalter, feuchter Maſſen, die in klarſter Luft und unter hellſten Sternen ſich langſam herunterlaſſen, hin und her bewegen, und ſich wie unſichtbare Thiere auf einen ſetzen. Dieſe Phä- nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergeſtalt, daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör ausſtand. Seit ſechs, acht Tagen iſt dies beſſer: nach einem Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere noch Abends ihr Zauberweſen treiben. Wollen nur, es gelingt ihnen nur viertelſtundenweiſe. Dabei iſt natürlich für mich an keinen Gebrauch der Wäſſer zu denken, die mich ohnehin
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0549"n="541"/><p>Oft entſchlag’ ich mich aller Sorge, und ſtelle dann alles<lb/>
Gott anheim, als dem beſten Freund und Vater, mit dem ich<lb/>
mich ganz unausſprechlich gut ſtehe. Ja, wir ſind auf einem<lb/>
ganz vertrauten Fuß. „Er wird’s ſchon wiſſen und machen,“<lb/>
denk’ ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und ſchlummre<lb/>ſo zu Füßen ein wenig, ſo unten an ſeinem Mantel!</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Scholz, in Frankfurt a. M.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Baden, den 22. Juni 1818.</hi></dateline><lb/><p>— Dann herrſchte hier, nach bedeutender Kälte, ſeit mehr<lb/>
als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen<lb/>
weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann,<lb/>
und mich <hirendition="#g">darauf</hi> bis zum Nervenunſinn peinigt. Dies be-<lb/>ſteht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und<lb/>
Blende, wobei ein Nordoſtwind nicht zu herrſchen nachläßt;<lb/>
Abends wird es <hirendition="#g">plötzlich</hi> bedeutend winterlich, durch eine Art<lb/>
kalter, feuchter Maſſen, die in klarſter Luft und unter hellſten<lb/>
Sternen ſich langſam herunterlaſſen, hin und her bewegen,<lb/>
und ſich wie unſichtbare Thiere auf einen ſetzen. Dieſe Phä-<lb/>
nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergeſtalt,<lb/>
daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör<lb/>
ausſtand. Seit ſechs, acht Tagen iſt dies beſſer: nach einem<lb/>
Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere<lb/>
noch Abends ihr Zauberweſen treiben. Wollen nur, es gelingt<lb/>
ihnen nur viertelſtundenweiſe. Dabei iſt natürlich für mich<lb/>
an keinen Gebrauch der Wäſſer zu denken, die mich ohnehin<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[541/0549]
Oft entſchlag’ ich mich aller Sorge, und ſtelle dann alles
Gott anheim, als dem beſten Freund und Vater, mit dem ich
mich ganz unausſprechlich gut ſtehe. Ja, wir ſind auf einem
ganz vertrauten Fuß. „Er wird’s ſchon wiſſen und machen,“
denk’ ich, und lehne mich ordentlich an ihn an, und ſchlummre
ſo zu Füßen ein wenig, ſo unten an ſeinem Mantel!
An Scholz, in Frankfurt a. M.
Baden, den 22. Juni 1818.
— Dann herrſchte hier, nach bedeutender Kälte, ſeit mehr
als vierzehn Tagen eine Sorte Wetter, die mich ohne allen
weitern Gebrauch der Bäder unter die Erde bringen kann,
und mich darauf bis zum Nervenunſinn peinigt. Dies be-
ſteht nämlich in einer trockenen, brennenden Sonnenhitze und
Blende, wobei ein Nordoſtwind nicht zu herrſchen nachläßt;
Abends wird es plötzlich bedeutend winterlich, durch eine Art
kalter, feuchter Maſſen, die in klarſter Luft und unter hellſten
Sternen ſich langſam herunterlaſſen, hin und her bewegen,
und ſich wie unſichtbare Thiere auf einen ſetzen. Dieſe Phä-
nomene drückten und reizten und hebetirten mich dergeſtalt,
daß ich wahre Fieberanfälle mit allem ihren Nervenzubehör
ausſtand. Seit ſechs, acht Tagen iſt dies beſſer: nach einem
Gewitter und einigem Regen: doch wollen die kalten Thiere
noch Abends ihr Zauberweſen treiben. Wollen nur, es gelingt
ihnen nur viertelſtundenweiſe. Dabei iſt natürlich für mich
an keinen Gebrauch der Wäſſer zu denken, die mich ohnehin
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/549>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.