nicht gegen sich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder auf diesem Punkt der Wahl; und so nöthig sie ist, so kann ich nur sagen: für unser Leben wäre sie nöthig die Härte, aber sie anwenden könnt' ich auch nicht, wie sie Ihnen also rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo man von den Gegenständen fern ist, die sie betrifft, ist es mög- lich mit Härte zu verfahren, sonst ist es dem, der ihre Wir- kung kennt, zu sehen vermag, unmöglich sie anzuwenden. Nun wäre alles richtig, wenn man sich mit ewiger Grazie opfren könnte; aber nein! man empört sich auch manchmal; opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi- schen zwei Empfindungen, von welchem Zustand Goethe mit Überrecht im Clavigo den Carlos sagen läßt, daß es der elen- deste der Welt sei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel applaudire; oder ob ich meiner entschieden entgegengesetzte Naturen bewundere. O! wenn sie meine Herzenseinsicht hät- ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt- terte sie. -- Also ich erwarte, was die Andern werden thun können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt auf's Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man solche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur das Unmögliche für heilig hält, beschützt, und die Dümmsten bestärkt. Da! sind wir wieder auf die paar großen Institu- tionen: und unsere Briefe sind doch nur Musivstücke einer selben großen Fabel: Ihrer sprach vom Geisterzwange, ich kam auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei kolossale Formen, von den Jahren zusammengebildet; in denen man eine große Dissonanz gefangen halten wollte; die uns aus diesem gan-
nicht gegen ſich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder auf dieſem Punkt der Wahl; und ſo nöthig ſie iſt, ſo kann ich nur ſagen: für unſer Leben wäre ſie nöthig die Härte, aber ſie anwenden könnt’ ich auch nicht, wie ſie Ihnen alſo rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo man von den Gegenſtänden fern iſt, die ſie betrifft, iſt es mög- lich mit Härte zu verfahren, ſonſt iſt es dem, der ihre Wir- kung kennt, zu ſehen vermag, unmöglich ſie anzuwenden. Nun wäre alles richtig, wenn man ſich mit ewiger Grazie opfren könnte; aber nein! man empört ſich auch manchmal; opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi- ſchen zwei Empfindungen, von welchem Zuſtand Goethe mit Überrecht im Clavigo den Carlos ſagen läßt, daß es der elen- deſte der Welt ſei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel applaudire; oder ob ich meiner entſchieden entgegengeſetzte Naturen bewundere. O! wenn ſie meine Herzenseinſicht hät- ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt- terte ſie. — Alſo ich erwarte, was die Andern werden thun können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man ſolche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur das Unmögliche für heilig hält, beſchützt, und die Dümmſten beſtärkt. Da! ſind wir wieder auf die paar großen Inſtitu- tionen: und unſere Briefe ſind doch nur Muſivſtücke einer ſelben großen Fabel: Ihrer ſprach vom Geiſterzwange, ich kam auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei koloſſale Formen, von den Jahren zuſammengebildet; in denen man eine große Diſſonanz gefangen halten wollte; die uns aus dieſem gan-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0547"n="539"/>
nicht gegen ſich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder<lb/>
auf dieſem Punkt der Wahl; und ſo nöthig ſie iſt, ſo kann<lb/>
ich nur ſagen: für <hirendition="#g">unſer</hi> Leben wäre ſie nöthig die Härte,<lb/>
aber ſie anwenden könnt’ ich auch nicht, wie ſie Ihnen alſo<lb/>
rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo<lb/>
man von den Gegenſtänden fern iſt, die ſie betrifft, iſt es mög-<lb/>
lich mit Härte zu verfahren, ſonſt iſt es dem, der ihre Wir-<lb/>
kung kennt, zu ſehen <hirendition="#g">vermag</hi>, unmöglich ſie anzuwenden.<lb/>
Nun wäre alles richtig, wenn man ſich mit ewiger Grazie<lb/>
opfren <hirendition="#g">könnte</hi>; aber nein! man empört ſich auch manchmal;<lb/>
opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi-<lb/>ſchen zwei Empfindungen, von welchem Zuſtand Goethe mit<lb/>
Überrecht im Clavigo den Carlos ſagen läßt, daß es der elen-<lb/>
deſte der Welt ſei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel<lb/>
applaudire; oder ob ich meiner <hirendition="#g">entſchieden</hi> entgegengeſetzte<lb/>
Naturen bewundere. O! wenn ſie meine Herzenseinſicht hät-<lb/>
ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt-<lb/>
terte ſie. — Alſo ich erwarte, was die Andern werden thun<lb/>
können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt<lb/>
auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man<lb/>ſolche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur<lb/>
das Unmögliche für heilig hält, beſchützt, und die Dümmſten<lb/>
beſtärkt. <hirendition="#g">Da</hi>! ſind wir wieder auf die paar großen Inſtitu-<lb/>
tionen: und unſere Briefe ſind doch nur Muſivſtücke einer<lb/>ſelben großen Fabel: Ihrer ſprach vom Geiſterzwange, ich kam<lb/>
auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei koloſſale Formen,<lb/>
von den Jahren zuſammengebildet; in denen man eine große<lb/>
Diſſonanz gefangen halten wollte; die uns aus dieſem gan-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[539/0547]
nicht gegen ſich. Ich befinde mich, wir befinden uns wieder
auf dieſem Punkt der Wahl; und ſo nöthig ſie iſt, ſo kann
ich nur ſagen: für unſer Leben wäre ſie nöthig die Härte,
aber ſie anwenden könnt’ ich auch nicht, wie ſie Ihnen alſo
rathen? Ja, ich behaupte, nur im Großen, im Ganzen, wo
man von den Gegenſtänden fern iſt, die ſie betrifft, iſt es mög-
lich mit Härte zu verfahren, ſonſt iſt es dem, der ihre Wir-
kung kennt, zu ſehen vermag, unmöglich ſie anzuwenden.
Nun wäre alles richtig, wenn man ſich mit ewiger Grazie
opfren könnte; aber nein! man empört ſich auch manchmal;
opfert, ohne daß der Andere das Opfer genießt; und lebt zwi-
ſchen zwei Empfindungen, von welchem Zuſtand Goethe mit
Überrecht im Clavigo den Carlos ſagen läßt, daß es der elen-
deſte der Welt ſei!!! Fragen Sie noch, ob ich mich nun eitel
applaudire; oder ob ich meiner entſchieden entgegengeſetzte
Naturen bewundere. O! wenn ſie meine Herzenseinſicht hät-
ten, und anders, immer anders handelten als ich; ich vergöt-
terte ſie. — Alſo ich erwarte, was die Andern werden thun
können. Was kann man thun? wenn man einen Kontrakt
auf’s Leben gemacht hat, mit Einem, der nicht weiß, daß man
ſolche Kontrakte nicht machen kann; in einer Welt, die nur
das Unmögliche für heilig hält, beſchützt, und die Dümmſten
beſtärkt. Da! ſind wir wieder auf die paar großen Inſtitu-
tionen: und unſere Briefe ſind doch nur Muſivſtücke einer
ſelben großen Fabel: Ihrer ſprach vom Geiſterzwange, ich kam
auf den der Neigungen, auf Ehe. Zwei koloſſale Formen,
von den Jahren zuſammengebildet; in denen man eine große
Diſſonanz gefangen halten wollte; die uns aus dieſem gan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 539. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/547>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.