"O Ihr wisset es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr eben nicht gleich dieselbe wörtliche Erklärung davon gäbet, die ich allenfalls zu geben wage -- Ihr wisset es -- das Ge- bet ist ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele -- ein inniges merkbares Bedürfniß des Geistes nach dem Vater der Geister, eine spürbare ausdrucksuchende Regung des Glaubens, daß ein Gott sei, und daß er denen, die ihn suchen, ein Belohner sei -- eine Darstellung seiner selbst vor dem unsichtbaren Urheber alles Sichtbaren und Unsichtbaren; eine eben so einfältige, als höchst kühne Eröffnung seines innern Sinnes gegen den Vater, der da ist über alles, durch alles und in uns Allen -- oder gegen den, welchen die allerglaubwürdigsten Zeugnisse für den Stellvertreter dessen, den kein Mensch gesehen hat, noch sehen mag, erklären, für den einzigen Mittler zwischen Gott und dem Menschen -- dem der Vater alles, alle Men- schen und aller Menschen Schicksale und Angelegenheiten, übergeben -- eine demüthig muthige Äußerung aller seiner Gedanken, Wünsche, Hoffnungen, an den allwissend geglaub- ten, allgenugsam geglaubten, väterlicher als väterlichgesinnten Gott, der gleichsam ein Bedürfniß hat, sich allen gottesbedürf- tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen -- eine Offen- barung seines Willens und seiner Willenslosigkeit vor dem Alleinweisen und Alleinmächtigen -- Gebet, du bist die Geistes- und Herzenssprache des Menschen mit dem Vater und Könige der Menschheit -- und die Summe aller deiner Regungen ist, entweder: -- Vater! es ist dir alles möglich! nimm
„O Ihr wiſſet es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr eben nicht gleich dieſelbe wörtliche Erklärung davon gäbet, die ich allenfalls zu geben wage — Ihr wiſſet es — das Ge- bet iſt ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele — ein inniges merkbares Bedürfniß des Geiſtes nach dem Vater der Geiſter, eine ſpürbare ausdruckſuchende Regung des Glaubens, daß ein Gott ſei, und daß er denen, die ihn ſuchen, ein Belohner ſei — eine Darſtellung ſeiner ſelbſt vor dem unſichtbaren Urheber alles Sichtbaren und Unſichtbaren; eine eben ſo einfältige, als höchſt kühne Eröffnung ſeines innern Sinnes gegen den Vater, der da iſt über alles, durch alles und in uns Allen — oder gegen den, welchen die allerglaubwürdigſten Zeugniſſe für den Stellvertreter deſſen, den kein Menſch geſehen hat, noch ſehen mag, erklären, für den einzigen Mittler zwiſchen Gott und dem Menſchen — dem der Vater alles, alle Men- ſchen und aller Menſchen Schickſale und Angelegenheiten, übergeben — eine demüthig muthige Äußerung aller ſeiner Gedanken, Wünſche, Hoffnungen, an den allwiſſend geglaub- ten, allgenugſam geglaubten, väterlicher als väterlichgeſinnten Gott, der gleichſam ein Bedürfniß hat, ſich allen gottesbedürf- tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen — eine Offen- barung ſeines Willens und ſeiner Willensloſigkeit vor dem Alleinweiſen und Alleinmächtigen — Gebet, du biſt die Geiſtes- und Herzensſprache des Menſchen mit dem Vater und Könige der Menſchheit — und die Summe aller deiner Regungen iſt, entweder: — Vater! es iſt dir alles möglich! nimm
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„O Ihr wiſſet es, Ihr redlichen Beter, auch wenn Ihr
eben nicht gleich dieſelbe wörtliche Erklärung davon gäbet,
die ich allenfalls zu geben wage — Ihr wiſſet es — das Ge-
bet iſt ein Streben der Seele nach dem Urheber der Seele
— ein inniges merkbares Bedürfniß des Geiſtes nach dem
Vater der Geiſter, eine ſpürbare ausdruckſuchende Regung
des Glaubens, daß ein Gott ſei, und daß er denen,
die ihn ſuchen, ein Belohner ſei — eine Darſtellung
ſeiner ſelbſt vor dem unſichtbaren Urheber alles Sichtbaren
und Unſichtbaren; eine eben ſo einfältige, als höchſt kühne
Eröffnung ſeines innern Sinnes gegen den Vater, der da
iſt über alles, durch alles und in uns Allen — oder
gegen den, welchen die allerglaubwürdigſten Zeugniſſe für den
Stellvertreter deſſen, den kein Menſch geſehen hat,
noch ſehen mag, erklären, für den einzigen Mittler zwiſchen
Gott und dem Menſchen — dem der Vater alles, alle Men-
ſchen und aller Menſchen Schickſale und Angelegenheiten,
übergeben — eine demüthig muthige Äußerung aller ſeiner
Gedanken, Wünſche, Hoffnungen, an den allwiſſend geglaub-
ten, allgenugſam geglaubten, väterlicher als väterlichgeſinnten
Gott, der gleichſam ein Bedürfniß hat, ſich allen gottesbedürf-
tigen Seelen zu offenbaren und mitzutheilen — eine Offen-
barung ſeines Willens und ſeiner Willensloſigkeit vor dem
Alleinweiſen und Alleinmächtigen — Gebet, du biſt die Geiſtes-
und Herzensſprache des Menſchen mit dem Vater und Könige
der Menſchheit — und die Summe aller deiner Regungen iſt,
entweder: — Vater! es iſt dir alles möglich! nimm
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/446>, abgerufen am 03.05.2024.
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