nicht ganz gefunden hat. Dieser wenig begabte Pedant hat nicht allein der Berliner, sondern den deutschen Bühnen gro- ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und gesellschaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt er noch nach seinem Tod!!! Muß ich nicht rasend werden, -- Wien nicht ausgenommen, -- auf allen Theatern Deutschlands Einen zu finden, der ganz wie er spielt, schnarrt, glupt, spricht, die Hände dreht, fingerirt, pausirt, einzelne Worte mitten vor oder aus einer Phrase wie verlorne Schildwachen hinaus schickt, und als solchen ihnen keine Lebensmittel, d. h. keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer in seiner Verlegenheit überläßt, was sie damit machen sollen, und diese Verlegenheit noch für künstlerische überlegte Absicht ausgeben will. Solche verfolgen mich noch, wo ich ihn schon lange vergessen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falsche viel mehr um sich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner findet, als das Ächte? frag' ich mich ewig: und fragte es erst diesen Mittag, als ein kluger, siebzigjähriger Celibataire, der weichmüthig und liebenswürdig ist, den legitimen Kindern, der Ehe, und all dergleichen auf's willkürlich-unvernünftigste das alte Irrwort redete! Wie kommt's? Da Ächtes Wahres ist, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des reinen Denkens. So herrschte Iffland; nicht durch sein Bes- seres, durch sein Schlechtestes. So will man mich jetzt gelten lassen, da edler Unwille in seinem Muth sich nicht mehr zeigt, und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unschul- digen Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! -- Aber
nicht ganz gefunden hat. Dieſer wenig begabte Pedant hat nicht allein der Berliner, ſondern den deutſchen Bühnen gro- ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und geſellſchaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt er noch nach ſeinem Tod!!! Muß ich nicht raſend werden, — Wien nicht ausgenommen, — auf allen Theatern Deutſchlands Einen zu finden, der ganz wie er ſpielt, ſchnarrt, glupt, ſpricht, die Hände dreht, fingerirt, pauſirt, einzelne Worte mitten vor oder aus einer Phraſe wie verlorne Schildwachen hinaus ſchickt, und als ſolchen ihnen keine Lebensmittel, d. h. keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer in ſeiner Verlegenheit überläßt, was ſie damit machen ſollen, und dieſe Verlegenheit noch für künſtleriſche überlegte Abſicht ausgeben will. Solche verfolgen mich noch, wo ich ihn ſchon lange vergeſſen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falſche viel mehr um ſich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner findet, als das Ächte? frag’ ich mich ewig: und fragte es erſt dieſen Mittag, als ein kluger, ſiebzigjähriger Célibataire, der weichmüthig und liebenswürdig iſt, den legitimen Kindern, der Ehe, und all dergleichen auf’s willkürlich-unvernünftigſte das alte Irrwort redete! Wie kommt’s? Da Ächtes Wahres iſt, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des reinen Denkens. So herrſchte Iffland; nicht durch ſein Beſ- ſeres, durch ſein Schlechteſtes. So will man mich jetzt gelten laſſen, da edler Unwille in ſeinem Muth ſich nicht mehr zeigt, und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unſchul- digen Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! — Aber
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nicht ganz gefunden hat. Dieſer wenig begabte Pedant hat
nicht allein der Berliner, ſondern den deutſchen Bühnen gro-
ßen Schaden zugefügt, bei mancher Ordnung der Scene, und
geſellſchaftlichem Vortheil ihrer Mitglieder; und mich verfolgt
er noch nach ſeinem Tod!!! Muß ich nicht raſend werden, —
Wien nicht ausgenommen, — auf allen Theatern Deutſchlands
Einen zu finden, der ganz wie er ſpielt, ſchnarrt, glupt,
ſpricht, die Hände dreht, fingerirt, pauſirt, einzelne Worte
mitten vor oder aus einer Phraſe wie verlorne Schildwachen
hinaus ſchickt, und als ſolchen ihnen keine Lebensmittel, d. h.
keinerlei Accent und Beziehungston mitgiebt, es dem Hörer
in ſeiner Verlegenheit überläßt, was ſie damit machen ſollen,
und dieſe Verlegenheit noch für künſtleriſche überlegte Abſicht
ausgeben will. Solche verfolgen mich noch, wo ich ihn ſchon
lange vergeſſen hätte, und hetzen den alten Ärger wieder in
mir gegen ihn auf. Woran liegt es, daß das Falſche viel
mehr um ſich greift, Nachahmer, Vertheidiger, und Lobredner
findet, als das Ächte? frag’ ich mich ewig: und fragte es
erſt dieſen Mittag, als ein kluger, ſiebzigjähriger Célibataire,
der weichmüthig und liebenswürdig iſt, den legitimen Kindern,
der Ehe, und all dergleichen auf’s willkürlich-unvernünftigſte
das alte Irrwort redete! Wie kommt’s? Da Ächtes Wahres
iſt, und Wahres viel einfacher, als Lügen und Irrwege des
reinen Denkens. So herrſchte Iffland; nicht durch ſein Beſ-
ſeres, durch ſein Schlechteſtes. So will man mich jetzt gelten
laſſen, da edler Unwille in ſeinem Muth ſich nicht mehr zeigt,
und mehr dergleichen in mir; und in meiner reinen, unſchul-
digen Jugend war es gefährlich mit mir umzugehen! — Aber
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/431>, abgerufen am 03.05.2024.
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