Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Sitz, den sie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen.
Lassen Sie sie! das ist ihr Plaisir. Das sage ich, weil ich in
der That so gegen, und mit Menschen geworden bin: wenn
nicht das, was sie üben, mir eben den Tag oder die Stunde
verdirbt. Darüber aber steigert sich meine Empfindlichkeit;
Störung ist mir ärger, als alle sonstige Verletzung, die ich
mir erst durch die Gedanken konstituiren muß. --

Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts besseres zu sagen,
als daß es natürlich ist, wenn er mich lieb hat, und im
geringsten nicht "mehr als er sollte." (Er hat mich lie-
ber, als er sollte; sagte er Ihnen.) Ich hab' ihn auch lieb,
und so wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat,
welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer
fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenschaften,
ohne diese mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich
niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb
sein könnte: ist ihm sonst manches an mir nicht recht, so mag
er's mir hingehen lassen; ich habe bei ihm auch nur auf Be-
stes in ihm gesehen; wenn er das manchmal merkte, so hab'
ich Unrecht; und dies soll er mir verzeihen! Ich grüße ihn
sehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht -- ich glaube
Ende dieses Winters -- ein Buch erhalten hat? und weiß ihm
für jetzt nichts Gründlichers noch Besseres zu aller Nachsicht
und Kenntniß meiner Auffordrendes zu sagen, als das was
ich Ihnen hier von mir und über mich schrieb. Hat er Geduld
genug, so lassen Sie ihn diesen Brief lesen! Adieu Koreff! --

Ist denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr,
daß man an der Seite der Häuser, unter den Linden, eine

Sitz, den ſie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen.
Laſſen Sie ſie! das iſt ihr Plaiſir. Das ſage ich, weil ich in
der That ſo gegen, und mit Menſchen geworden bin: wenn
nicht das, was ſie üben, mir eben den Tag oder die Stunde
verdirbt. Darüber aber ſteigert ſich meine Empfindlichkeit;
Störung iſt mir ärger, als alle ſonſtige Verletzung, die ich
mir erſt durch die Gedanken konſtituiren muß. —

Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts beſſeres zu ſagen,
als daß es natürlich iſt, wenn er mich lieb hat, und im
geringſten nicht „mehr als er ſollte.“ (Er hat mich lie-
ber, als er ſollte; ſagte er Ihnen.) Ich hab’ ihn auch lieb,
und ſo wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat,
welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer
fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenſchaften,
ohne dieſe mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich
niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb
ſein könnte: iſt ihm ſonſt manches an mir nicht recht, ſo mag
er’s mir hingehen laſſen; ich habe bei ihm auch nur auf Be-
ſtes in ihm geſehen; wenn er das manchmal merkte, ſo hab’
ich Unrecht; und dies ſoll er mir verzeihen! Ich grüße ihn
ſehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht — ich glaube
Ende dieſes Winters — ein Buch erhalten hat? und weiß ihm
für jetzt nichts Gründlichers noch Beſſeres zu aller Nachſicht
und Kenntniß meiner Auffordrendes zu ſagen, als das was
ich Ihnen hier von mir und über mich ſchrieb. Hat er Geduld
genug, ſo laſſen Sie ihn dieſen Brief leſen! Adieu Koreff! —

Iſt denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr,
daß man an der Seite der Häuſer, unter den Linden, eine

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0413" n="405"/>
Sitz, den &#x017F;ie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen.<lb/>
La&#x017F;&#x017F;en Sie &#x017F;ie! das i&#x017F;t ihr Plai&#x017F;ir. Das &#x017F;age ich, weil ich in<lb/>
der That &#x017F;o gegen, und mit Men&#x017F;chen geworden bin: wenn<lb/>
nicht das, was &#x017F;ie üben, mir eben den <hi rendition="#g">Tag</hi> oder die <hi rendition="#g">Stunde</hi><lb/>
verdirbt. Darüber aber &#x017F;teigert &#x017F;ich meine Empfindlichkeit;<lb/>
Störung i&#x017F;t mir ärger, als alle &#x017F;on&#x017F;tige Verletzung, die ich<lb/>
mir er&#x017F;t durch die Gedanken kon&#x017F;tituiren muß. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts be&#x017F;&#x017F;eres zu &#x017F;agen,<lb/>
als daß es natürlich i&#x017F;t, wenn er mich lieb hat, und im<lb/>
gering&#x017F;ten nicht &#x201E;mehr als er &#x017F;ollte.&#x201C; (Er hat mich lie-<lb/>
ber, als er &#x017F;ollte; &#x017F;agte er Ihnen.) Ich hab&#x2019; ihn auch lieb,<lb/>
und &#x017F;o wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat,<lb/>
welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer<lb/>
fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
ohne die&#x017F;e mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich<lb/>
niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb<lb/>
&#x017F;ein könnte: i&#x017F;t ihm &#x017F;on&#x017F;t manches an mir nicht recht, &#x017F;o mag<lb/>
er&#x2019;s mir hingehen la&#x017F;&#x017F;en; ich habe bei ihm auch nur auf Be-<lb/>
&#x017F;tes in ihm ge&#x017F;ehen; wenn er das manchmal merkte, &#x017F;o hab&#x2019;<lb/>
ich Unrecht; und dies &#x017F;oll er mir verzeihen! Ich grüße ihn<lb/>
&#x017F;ehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht &#x2014; ich glaube<lb/>
Ende die&#x017F;es Winters &#x2014; ein Buch erhalten hat? und weiß ihm<lb/>
für jetzt nichts Gründlichers noch Be&#x017F;&#x017F;eres zu aller Nach&#x017F;icht<lb/>
und Kenntniß meiner Auffordrendes zu &#x017F;agen, als das was<lb/>
ich Ihnen hier von mir und über mich &#x017F;chrieb. Hat er Geduld<lb/>
genug, &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;en Sie ihn die&#x017F;en Brief le&#x017F;en! Adieu Koreff! &#x2014;</p><lb/>
            <p>I&#x017F;t denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr,<lb/>
daß man an der Seite der Häu&#x017F;er, unter den Linden, eine<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0413] Sitz, den ſie im Sittlichkeitsparlament einnehmen wollen. Laſſen Sie ſie! das iſt ihr Plaiſir. Das ſage ich, weil ich in der That ſo gegen, und mit Menſchen geworden bin: wenn nicht das, was ſie üben, mir eben den Tag oder die Stunde verdirbt. Darüber aber ſteigert ſich meine Empfindlichkeit; Störung iſt mir ärger, als alle ſonſtige Verletzung, die ich mir erſt durch die Gedanken konſtituiren muß. — Koreff, liebe Freundin, weiß ich nichts beſſeres zu ſagen, als daß es natürlich iſt, wenn er mich lieb hat, und im geringſten nicht „mehr als er ſollte.“ (Er hat mich lie- ber, als er ſollte; ſagte er Ihnen.) Ich hab’ ihn auch lieb, und ſo wird es auch bleiben, weil er etwas Herziges hat, welches er nicht verlieren wird, welches ich gleich, und immer fühlte. Ich nenne nur dies; weil alle andere Eigenſchaften, ohne dieſe mir nie das Herz herausforderten; und eigentlich niemanden. Ich habe ihm nichts zugefügt, was ihm unlieb ſein könnte: iſt ihm ſonſt manches an mir nicht recht, ſo mag er’s mir hingehen laſſen; ich habe bei ihm auch nur auf Be- ſtes in ihm geſehen; wenn er das manchmal merkte, ſo hab’ ich Unrecht; und dies ſoll er mir verzeihen! Ich grüße ihn ſehr! und frage ihn, ob er von Varnhagen nicht — ich glaube Ende dieſes Winters — ein Buch erhalten hat? und weiß ihm für jetzt nichts Gründlichers noch Beſſeres zu aller Nachſicht und Kenntniß meiner Auffordrendes zu ſagen, als das was ich Ihnen hier von mir und über mich ſchrieb. Hat er Geduld genug, ſo laſſen Sie ihn dieſen Brief leſen! Adieu Koreff! — Iſt denn der Jammer, der Skandal, das Unglück wahr, daß man an der Seite der Häuſer, unter den Linden, eine

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/413
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/413>, abgerufen am 03.05.2024.