Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

lender Mann, der einem gleich das nächste Leben leicht zu
machen weiß; diese Eigenschaften wurden sehr bei mir in die
Höhe und in's Licht gesetzt, durch den Gedanken: das ist ein
Staatsmann, der steht auf der wirkenden Ministerstufe; es
geht so lange schon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig,
sechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit
Genesungssehnsucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be-
sonders so sehr untersuchen muß, und von meinen persönlichen
Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach-
tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen
Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht sehe ich ihn noch
heute, dann will ich von Ihnen mit ihm sprechen.

Den 7. Juli will mein ältester Bruder von Berlin abrei-
sen, und mich in diesen Gegenden suchen: suchen, weil Staats-
diener jetzt Hausirer sind. Es war gewiß schon oft so in der
W[el]t: es kann auch mit manchen Umständen begleitet öfters
angenehm sein; diese aber sind nicht so gütig, sich bei mir
einzufinden. Da ich aber so sehr an den Augen litt -- am
Sehen -- sich das bessert, nach Mittlen, und Verhalten;
und ich vom Arzt in Mannheim die Versichrung habe, daß
die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein schon in
Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, so bin ich bums-
still! Quand il faut se precher pour etre heureux, l'on est
a peine content.
Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich
immerweg erwarten; er will kommen, sobald er seine Mos-
kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht,
weil ich keinen Platz habe. In Mannheim sah ich manches:
nichts was beschrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel

lender Mann, der einem gleich das nächſte Leben leicht zu
machen weiß; dieſe Eigenſchaften wurden ſehr bei mir in die
Höhe und in’s Licht geſetzt, durch den Gedanken: das iſt ein
Staatsmann, der ſteht auf der wirkenden Miniſterſtufe; es
geht ſo lange ſchon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig,
ſechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit
Geneſungsſehnſucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be-
ſonders ſo ſehr unterſuchen muß, und von meinen perſönlichen
Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach-
tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen
Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht ſehe ich ihn noch
heute, dann will ich von Ihnen mit ihm ſprechen.

Den 7. Juli will mein älteſter Bruder von Berlin abrei-
ſen, und mich in dieſen Gegenden ſuchen: ſuchen, weil Staats-
diener jetzt Hauſirer ſind. Es war gewiß ſchon oft ſo in der
W[el]t: es kann auch mit manchen Umſtänden begleitet öfters
angenehm ſein; dieſe aber ſind nicht ſo gütig, ſich bei mir
einzufinden. Da ich aber ſo ſehr an den Augen litt — am
Sehen — ſich das beſſert, nach Mittlen, und Verhalten;
und ich vom Arzt in Mannheim die Verſichrung habe, daß
die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein ſchon in
Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, ſo bin ich bums-
ſtill! Quand il faut se prêcher pour être heureux, l’on est
à peine content.
Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich
immerweg erwarten; er will kommen, ſobald er ſeine Mos-
kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht,
weil ich keinen Platz habe. In Mannheim ſah ich manches:
nichts was beſchrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="397"/>
lender Mann, der einem gleich das näch&#x017F;te Leben leicht zu<lb/>
machen weiß; die&#x017F;e Eigen&#x017F;chaften wurden &#x017F;ehr bei mir in die<lb/>
Höhe und in&#x2019;s Licht ge&#x017F;etzt, durch den Gedanken: das i&#x017F;t ein<lb/>
Staatsmann, der &#x017F;teht auf der wirkenden Mini&#x017F;ter&#x017F;tufe; es<lb/>
geht &#x017F;o lange &#x017F;chon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig,<lb/>
&#x017F;echszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit<lb/>
Gene&#x017F;ungs&#x017F;ehn&#x017F;ucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be-<lb/>
&#x017F;onders &#x017F;o &#x017F;ehr unter&#x017F;uchen muß, und von meinen per&#x017F;önlichen<lb/>
Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach-<lb/>
tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen<lb/>
Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht &#x017F;ehe ich ihn noch<lb/>
heute, dann will ich von Ihnen mit ihm &#x017F;prechen.</p><lb/>
          <p>Den 7. Juli will mein älte&#x017F;ter Bruder von Berlin abrei-<lb/>
&#x017F;en, und mich in die&#x017F;en Gegenden &#x017F;uchen: &#x017F;uchen, weil Staats-<lb/>
diener jetzt Hau&#x017F;irer &#x017F;ind. Es war gewiß &#x017F;chon oft &#x017F;o in der<lb/>
W<supplied>el</supplied>t: es kann auch mit manchen Um&#x017F;tänden begleitet öfters<lb/>
angenehm &#x017F;ein; die&#x017F;e aber &#x017F;ind nicht &#x017F;o gütig, &#x017F;ich bei mir<lb/>
einzufinden. Da ich aber &#x017F;o &#x017F;ehr an den Augen litt &#x2014; am<lb/><hi rendition="#g">Sehen</hi> &#x2014; &#x017F;ich das be&#x017F;&#x017F;ert, nach Mittlen, und Verhalten;<lb/>
und ich vom Arzt in Mannheim die Ver&#x017F;ichrung habe, daß<lb/>
die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein &#x017F;chon in<lb/>
Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, &#x017F;o bin ich bums-<lb/>
&#x017F;till! <hi rendition="#aq">Quand il faut se prêcher pour être heureux, l&#x2019;on est<lb/>
à peine content.</hi> Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich<lb/>
immerweg erwarten; er will kommen, &#x017F;obald er &#x017F;eine Mos-<lb/>
kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier <hi rendition="#g">gar nicht</hi>,<lb/>
weil ich keinen Platz habe. In Mannheim &#x017F;ah ich manches:<lb/>
nichts was be&#x017F;chrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0405] lender Mann, der einem gleich das nächſte Leben leicht zu machen weiß; dieſe Eigenſchaften wurden ſehr bei mir in die Höhe und in’s Licht geſetzt, durch den Gedanken: das iſt ein Staatsmann, der ſteht auf der wirkenden Miniſterſtufe; es geht ſo lange ſchon, ich meine nicht grade die letzten fünfzig, ſechszig Jahre, drunter und drüber, daß man dergleichen mit Geneſungsſehnſucht ergreift! Und ich vorzüglich, die ich be- ſonders ſo ſehr unterſuchen muß, und von meinen perſönlichen Plagen, und denen des Augenblicks, durchaus auf Betrach- tung des Ganzen kommen muß. Rückert kennen Sie; kennen Sie nicht auch Wangenheim? Vielleicht ſehe ich ihn noch heute, dann will ich von Ihnen mit ihm ſprechen. Den 7. Juli will mein älteſter Bruder von Berlin abrei- ſen, und mich in dieſen Gegenden ſuchen: ſuchen, weil Staats- diener jetzt Hauſirer ſind. Es war gewiß ſchon oft ſo in der Welt: es kann auch mit manchen Umſtänden begleitet öfters angenehm ſein; dieſe aber ſind nicht ſo gütig, ſich bei mir einzufinden. Da ich aber ſo ſehr an den Augen litt — am Sehen — ſich das beſſert, nach Mittlen, und Verhalten; und ich vom Arzt in Mannheim die Verſichrung habe, daß die Sehorgane nicht einmal leiden; und ich mein ſchon in Prag aufgegebenes Bein tüchtig gebrauche, ſo bin ich bums- ſtill! Quand il faut se prêcher pour être heureux, l’on est à peine content. Meinen Bruder Ludwig kann ich eigentlich immerweg erwarten; er will kommen, ſobald er ſeine Mos- kawa beendigt hat. In das Theater gehe ich hier gar nicht, weil ich keinen Platz habe. In Mannheim ſah ich manches: nichts was beſchrieben zu werden verdient; als ein Thürnagel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/405
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/405>, abgerufen am 03.05.2024.