und unserer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht schreibe; langsam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen fort. An Einem Stamm erwachsen, unter demselben Dache dieselben Dinge gesehen, erlebt, gelitten, genossen; gutgeartet wie wir sind zur Freundschaft gestimmt; verlieren Schwestern, wenn sie sich trennen, was sie auf der weiten Erde nicht wie- derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte: welches gut war; aber keine Schwester! Und wie Unendliches mag schlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben sein in Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdest, als süßes Vertrauen, als heitere Geist-Auflösung! Erst dieser Tage sagte ich zu Varnhagen: meine Schwester ist so gut wie todt für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele ist! Diesen Som- mer war ich fest entschlossen, dich von hier aus zu besuchen. Es war auch dieser der erste im Leben, wo ich hundert Du- katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben konnte, und sie wirklich hatte. Varnhagen war in Paris mit dem Fürsten Hardenberg, und schrieb mir einen ganzen Roman von herzbrechenden Briefen -- die ich dir zu zeigen fest hoffe -- einen Tag um den andern, ich solle kommen, Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft fest entschlossen seines Jammerns wegen, fürchtete mich aber sehr, und konnte nie gute Reisegesellschaft von hier aus finden, welche nicht Tag und Nacht reisen wollte, welches ich nicht kann, und da nicht mochte. So kam der September heran; da hieß es schon, die Fürsten mit ihren Kabinetten kämen zu- rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem
und unſerer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht ſchreibe; langſam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen fort. An Einem Stamm erwachſen, unter demſelben Dache dieſelben Dinge geſehen, erlebt, gelitten, genoſſen; gutgeartet wie wir ſind zur Freundſchaft geſtimmt; verlieren Schweſtern, wenn ſie ſich trennen, was ſie auf der weiten Erde nicht wie- derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte: welches gut war; aber keine Schweſter! Und wie Unendliches mag ſchlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben ſein in Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdeſt, als ſüßes Vertrauen, als heitere Geiſt-Auflöſung! Erſt dieſer Tage ſagte ich zu Varnhagen: meine Schweſter iſt ſo gut wie todt für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele iſt! Dieſen Som- mer war ich feſt entſchloſſen, dich von hier aus zu beſuchen. Es war auch dieſer der erſte im Leben, wo ich hundert Du- katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben konnte, und ſie wirklich hatte. Varnhagen war in Paris mit dem Fürſten Hardenberg, und ſchrieb mir einen ganzen Roman von herzbrechenden Briefen — die ich dir zu zeigen feſt hoffe — einen Tag um den andern, ich ſolle kommen, Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft feſt entſchloſſen ſeines Jammerns wegen, fürchtete mich aber ſehr, und konnte nie gute Reiſegeſellſchaft von hier aus finden, welche nicht Tag und Nacht reiſen wollte, welches ich nicht kann, und da nicht mochte. So kam der September heran; da hieß es ſchon, die Fürſten mit ihren Kabinetten kämen zu- rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0371"n="363"/>
und unſerer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht ſchreibe;<lb/>
langſam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt<lb/>
das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen<lb/>
fort. An Einem Stamm erwachſen, unter demſelben Dache<lb/>
dieſelben Dinge geſehen, erlebt, gelitten, genoſſen; gutgeartet<lb/>
wie wir ſind zur Freundſchaft geſtimmt; verlieren Schweſtern,<lb/>
wenn ſie ſich trennen, was ſie auf der weiten Erde nicht wie-<lb/>
derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte:<lb/>
welches gut war; aber keine Schweſter! Und wie Unendliches<lb/>
mag ſchlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben ſein in<lb/>
Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdeſt, als ſüßes<lb/>
Vertrauen, als heitere Geiſt-Auflöſung! Erſt dieſer Tage<lb/>ſagte ich zu Varnhagen: meine Schweſter iſt ſo gut wie todt<lb/>
für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele iſt! Dieſen Som-<lb/>
mer war ich feſt entſchloſſen, dich von hier aus zu beſuchen.<lb/>
Es war auch dieſer der erſte im <hirendition="#g">Leben</hi>, wo ich hundert Du-<lb/>
katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben<lb/>
konnte, und ſie <hirendition="#g">wirklich hatte</hi>. Varnhagen war in Paris<lb/>
mit dem Fürſten Hardenberg, und ſchrieb mir einen ganzen<lb/>
Roman von herzbrechenden Briefen — die ich dir zu zeigen<lb/>
feſt hoffe — einen Tag um den andern, ich ſolle kommen,<lb/>
Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft feſt<lb/>
entſchloſſen ſeines Jammerns wegen, fürchtete mich aber ſehr,<lb/>
und konnte nie gute Reiſegeſellſchaft von hier aus finden,<lb/>
welche nicht Tag und Nacht reiſen wollte, welches ich nicht<lb/>
kann, und da nicht mochte. So kam der September heran;<lb/>
da hieß es ſchon, die Fürſten mit ihren Kabinetten kämen zu-<lb/>
rück; und da wartete ich wieder <hirendition="#g">nicht</hi> angenehm von einem<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[363/0371]
und unſerer Liebe zu einander, dir beinah gar nicht ſchreibe;
langſam aber, und ohne Worte, ja ohne Zeichen beinah, wirkt
das Unglück, daß wir getrennt leben, immer ununterbrochen
fort. An Einem Stamm erwachſen, unter demſelben Dache
dieſelben Dinge geſehen, erlebt, gelitten, genoſſen; gutgeartet
wie wir ſind zur Freundſchaft geſtimmt; verlieren Schweſtern,
wenn ſie ſich trennen, was ſie auf der weiten Erde nicht wie-
derfinden; wenn ich auch lange mit den Brüdern liirt lebte:
welches gut war; aber keine Schweſter! Und wie Unendliches
mag ſchlummern, und in meiner Seele zurückgeblieben ſein in
Ungeburt, was du mir nur entlockt haben würdeſt, als ſüßes
Vertrauen, als heitere Geiſt-Auflöſung! Erſt dieſer Tage
ſagte ich zu Varnhagen: meine Schweſter iſt ſo gut wie todt
für mich; außer, daß ich weiß wo ihre Seele iſt! Dieſen Som-
mer war ich feſt entſchloſſen, dich von hier aus zu beſuchen.
Es war auch dieſer der erſte im Leben, wo ich hundert Du-
katen oder etwas mehr, ganz zu meinem Vergnügen ausgeben
konnte, und ſie wirklich hatte. Varnhagen war in Paris
mit dem Fürſten Hardenberg, und ſchrieb mir einen ganzen
Roman von herzbrechenden Briefen — die ich dir zu zeigen
feſt hoffe — einen Tag um den andern, ich ſolle kommen,
Zimmer, alles wäre für mich bereitet; ich war es auch oft feſt
entſchloſſen ſeines Jammerns wegen, fürchtete mich aber ſehr,
und konnte nie gute Reiſegeſellſchaft von hier aus finden,
welche nicht Tag und Nacht reiſen wollte, welches ich nicht
kann, und da nicht mochte. So kam der September heran;
da hieß es ſchon, die Fürſten mit ihren Kabinetten kämen zu-
rück; und da wartete ich wieder nicht angenehm von einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/371>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.