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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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nachdem er's geschrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich,
Natur und Geschichte umfassend, die wenigen glücklichen
Worte sind. Er sagt: "Allein diesem Werke -- (wie schön
das Wort hier!) -- stand, wie den sämmtlichen Profanskri-
benten, noch ein eigenes Schicksal bevor, welches im Laufe
der Zeit nicht abzuwenden war." Nicht abzuwenden. Im
Laufe der Zeit. --

S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt,
was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geschah. Mir
unaussprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer solchen
Art, wie ich mir denke, daß Geschichte geschrieben werden
kann. In keines Menschen Sinn geschrieben. Nicht geneh-
migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge-
schah, ein Mittel gefunden hätte, das Geschehene für kom-
mende Geschlechter aufzubewahren. Mich macht diese Art
traurig. Das ist aber recht. Denn es ist traurig, und für
unser Menschendasein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht
schmeichelhaft, daß sich die Begebenheiten an einander ent-
wickeln und der Menschen Thun und Lassen, ohne im gering-
sten auf Einzelne, ihre beschränkten Wünsche, oder sich auf
diese beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück-
sicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus-
einandersetzung, ist, glaub' ich, das Wesen der Geschichte: zu
zeigen, daß sich ihr ganzer Gang, mit allem Um- und Durch-
wogen durch das menschliche Gemüth, auf eine allgemeinere
Natur bezieht, als die, welche unsere Einrichtungen, Gesetze
und Einsichten bestimmen helfen wollen. Fichte sagte einmal
in einer Vorlesung: "Das, was wir nicht kennen, und nicht

nachdem er’s geſchrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich,
Natur und Geſchichte umfaſſend, die wenigen glücklichen
Worte ſind. Er ſagt: „Allein dieſem Werke — (wie ſchön
das Wort hier!) — ſtand, wie den ſämmtlichen Profanſkri-
benten, noch ein eigenes Schickſal bevor, welches im Laufe
der Zeit nicht abzuwenden war.“ Nicht abzuwenden. Im
Laufe der Zeit. —

S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt,
was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geſchah. Mir
unausſprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer ſolchen
Art, wie ich mir denke, daß Geſchichte geſchrieben werden
kann. In keines Menſchen Sinn geſchrieben. Nicht geneh-
migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge-
ſchah, ein Mittel gefunden hätte, das Geſchehene für kom-
mende Geſchlechter aufzubewahren. Mich macht dieſe Art
traurig. Das iſt aber recht. Denn es iſt traurig, und für
unſer Menſchendaſein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht
ſchmeichelhaft, daß ſich die Begebenheiten an einander ent-
wickeln und der Menſchen Thun und Laſſen, ohne im gering-
ſten auf Einzelne, ihre beſchränkten Wünſche, oder ſich auf
dieſe beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück-
ſicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus-
einanderſetzung, iſt, glaub’ ich, das Weſen der Geſchichte: zu
zeigen, daß ſich ihr ganzer Gang, mit allem Um- und Durch-
wogen durch das menſchliche Gemüth, auf eine allgemeinere
Natur bezieht, als die, welche unſere Einrichtungen, Geſetze
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in einer Vorleſung: „Das, was wir nicht kennen, und nicht

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[343/0351] nachdem er’s geſchrieben hatte, ganz ermaß, wie folgereich, Natur und Geſchichte umfaſſend, die wenigen glücklichen Worte ſind. Er ſagt: „Allein dieſem Werke — (wie ſchön das Wort hier!) — ſtand, wie den ſämmtlichen Profanſkri- benten, noch ein eigenes Schickſal bevor, welches im Laufe der Zeit nicht abzuwenden war.“ Nicht abzuwenden. Im Laufe der Zeit. — S. 147. Spricht er noch von der Bibel; und erzählt, was in damaliger Zeit zu ihrer Vertheidigung geſchah. Mir unausſprechlich merkwürdig ausgedrückt. In einer ſolchen Art, wie ich mir denke, daß Geſchichte geſchrieben werden kann. In keines Menſchen Sinn geſchrieben. Nicht geneh- migt, nicht getadelt: als ob die Erde in der Zeit, wo es ge- ſchah, ein Mittel gefunden hätte, das Geſchehene für kom- mende Geſchlechter aufzubewahren. Mich macht dieſe Art traurig. Das iſt aber recht. Denn es iſt traurig, und für unſer Menſchendaſein, wenn auch drüberhinaushebend, nicht ſchmeichelhaft, daß ſich die Begebenheiten an einander ent- wickeln und der Menſchen Thun und Laſſen, ohne im gering- ſten auf Einzelne, ihre beſchränkten Wünſche, oder ſich auf dieſe beziehende Eitelkeit des Fühlens noch des Wollens, Rück- ſicht zu nehmen; aber uns dies ganz klar zu machen ohne Aus- einanderſetzung, iſt, glaub’ ich, das Weſen der Geſchichte: zu zeigen, daß ſich ihr ganzer Gang, mit allem Um- und Durch- wogen durch das menſchliche Gemüth, auf eine allgemeinere Natur bezieht, als die, welche unſere Einrichtungen, Geſetze und Einſichten beſtimmen helfen wollen. Fichte ſagte einmal in einer Vorleſung: „Das, was wir nicht kennen, und nicht

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/351>, abgerufen am 27.04.2024.