Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

man den vornehmen Anstand der fürstengleichen römi-
schen Bürger
auf deutsche kleinstädtische Gelehrten-Ver-
hältnisse herüber, und war eben nirgends, am wenigsten bei
sich zu Hause." -- "Fürstengleiche römische Bürger." Noch
lebt nur der Adel in der neueren Welt als Mensch; oder,
man räumt ihm wenigstens den Anspruch darauf ein. In
dem, was noch feststeht.

S. 121. "Betrachtet man genau, was der deutschen
Poesie fehlte, so war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler:
an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur
Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt
werden darf." Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen
Poeten machen, her. Sehr schön. -- Auch mit Gewalt wol-
len sie solchen Gehalt, "und zwar einen nationalen," her-
schaffen. Sehr schön spricht Goethe vom Dichter König, und
rechtfertigt sein Gedicht über König Augusts Lustlager. Goethe
griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut-
schen in Hermann und Dorothea. Was er im Meister und
den andern Schilderungen leisten konnte, wird ihm nur darum
bestritten und nicht aufgefaßt, weil es so vortrefflich ist: er
schildert ein schwankendes Streben, von mancher andern Na-
tionalität gefärbt, zu dem sich keiner bekennen mag, wie er
es nicht zu erkennen versteht, und noch weniger die tiefe Seele
zu fühlen fähig ist, die es aufgenommen hat, und mit Geist
und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und schein-
barer Ruhe wiedergiebt:

S. 145. Er spricht von der Bibel. Wie schön! Wenn
es auch nur naiv gemeint ist: das heißt, wenn er auch nur,

man den vornehmen Anſtand der fürſtengleichen römi-
ſchen Bürger
auf deutſche kleinſtädtiſche Gelehrten-Ver-
hältniſſe herüber, und war eben nirgends, am wenigſten bei
ſich zu Hauſe.“ — „Fürſtengleiche römiſche Bürger.“ Noch
lebt nur der Adel in der neueren Welt als Menſch; oder,
man räumt ihm wenigſtens den Anſpruch darauf ein. In
dem, was noch feſtſteht.

S. 121. „Betrachtet man genau, was der deutſchen
Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler:
an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur
Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt
werden darf.“ Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen
Poeten machen, her. Sehr ſchön. — Auch mit Gewalt wol-
len ſie ſolchen Gehalt, „und zwar einen nationalen,“ her-
ſchaffen. Sehr ſchön ſpricht Goethe vom Dichter König, und
rechtfertigt ſein Gedicht über König Auguſts Luſtlager. Goethe
griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut-
ſchen in Hermann und Dorothea. Was er im Meiſter und
den andern Schilderungen leiſten konnte, wird ihm nur darum
beſtritten und nicht aufgefaßt, weil es ſo vortrefflich iſt: er
ſchildert ein ſchwankendes Streben, von mancher andern Na-
tionalität gefärbt, zu dem ſich keiner bekennen mag, wie er
es nicht zu erkennen verſteht, und noch weniger die tiefe Seele
zu fühlen fähig iſt, die es aufgenommen hat, und mit Geiſt
und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und ſchein-
barer Ruhe wiedergiebt:

S. 145. Er ſpricht von der Bibel. Wie ſchön! Wenn
es auch nur naiv gemeint iſt: das heißt, wenn er auch nur,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0350" n="342"/>
man den vornehmen An&#x017F;tand der <hi rendition="#g">für&#x017F;tengleichen römi-<lb/>
&#x017F;chen Bürger</hi> auf deut&#x017F;che klein&#x017F;tädti&#x017F;che Gelehrten-Ver-<lb/>
hältni&#x017F;&#x017F;e herüber, und war eben nirgends, am wenig&#x017F;ten bei<lb/>
&#x017F;ich zu Hau&#x017F;e.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Für&#x017F;tengleiche römi&#x017F;che Bürger.&#x201C; Noch<lb/>
lebt nur der Adel in der neueren Welt als Men&#x017F;ch; oder,<lb/>
man räumt ihm wenig&#x017F;tens den An&#x017F;pruch darauf ein. In<lb/>
dem, was noch fe&#x017F;t&#x017F;teht.</p><lb/>
            <p>S. 121. &#x201E;Betrachtet man genau, was der deut&#x017F;chen<lb/>
Poe&#x017F;ie fehlte, &#x017F;o war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler:<lb/>
an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur<lb/>
Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt<lb/>
werden darf.&#x201C; Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen<lb/>
Poeten machen, her. Sehr &#x017F;chön. &#x2014; <hi rendition="#g">Auch</hi> mit Gewalt wol-<lb/>
len &#x017F;ie &#x017F;olchen Gehalt, &#x201E;und zwar einen nationalen,&#x201C; her-<lb/>
&#x017F;chaffen. Sehr &#x017F;chön &#x017F;pricht Goethe vom Dichter König, und<lb/>
rechtfertigt &#x017F;ein Gedicht über König Augu&#x017F;ts Lu&#x017F;tlager. Goethe<lb/>
griff ein paar Stufen tiefer, und <hi rendition="#g">faßte</hi> ein Leben der Deut-<lb/>
&#x017F;chen in Hermann und Dorothea. Was er im Mei&#x017F;ter und<lb/>
den andern Schilderungen lei&#x017F;ten konnte, wird ihm nur darum<lb/>
be&#x017F;tritten und nicht aufgefaßt, weil es &#x017F;o vortrefflich i&#x017F;t: er<lb/>
&#x017F;childert ein &#x017F;chwankendes Streben, von mancher andern Na-<lb/>
tionalität gefärbt, zu dem &#x017F;ich keiner bekennen mag, wie er<lb/>
es nicht zu erkennen ver&#x017F;teht, und noch weniger die tiefe Seele<lb/>
zu fühlen fähig i&#x017F;t, die es aufgenommen hat, und mit Gei&#x017F;t<lb/>
und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und &#x017F;chein-<lb/>
barer Ruhe wiedergiebt:</p><lb/>
            <p>S. 145. Er &#x017F;pricht von der Bibel. Wie &#x017F;chön! Wenn<lb/>
es auch nur naiv gemeint i&#x017F;t: das heißt, wenn er auch nur,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[342/0350] man den vornehmen Anſtand der fürſtengleichen römi- ſchen Bürger auf deutſche kleinſtädtiſche Gelehrten-Ver- hältniſſe herüber, und war eben nirgends, am wenigſten bei ſich zu Hauſe.“ — „Fürſtengleiche römiſche Bürger.“ Noch lebt nur der Adel in der neueren Welt als Menſch; oder, man räumt ihm wenigſtens den Anſpruch darauf ein. In dem, was noch feſtſteht. S. 121. „Betrachtet man genau, was der deutſchen Poeſie fehlte, ſo war es ein Gehalt, und zwar ein nationaler: an Talenten war niemals Mangel. Hier gedenken wir nur Günthers, der ein Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf.“ Und nun zählt er Günthers Gaben, die einen Poeten machen, her. Sehr ſchön. — Auch mit Gewalt wol- len ſie ſolchen Gehalt, „und zwar einen nationalen,“ her- ſchaffen. Sehr ſchön ſpricht Goethe vom Dichter König, und rechtfertigt ſein Gedicht über König Auguſts Luſtlager. Goethe griff ein paar Stufen tiefer, und faßte ein Leben der Deut- ſchen in Hermann und Dorothea. Was er im Meiſter und den andern Schilderungen leiſten konnte, wird ihm nur darum beſtritten und nicht aufgefaßt, weil es ſo vortrefflich iſt: er ſchildert ein ſchwankendes Streben, von mancher andern Na- tionalität gefärbt, zu dem ſich keiner bekennen mag, wie er es nicht zu erkennen verſteht, und noch weniger die tiefe Seele zu fühlen fähig iſt, die es aufgenommen hat, und mit Geiſt und Weisheit durchdrungen im größten Ebenmaß und ſchein- barer Ruhe wiedergiebt: S. 145. Er ſpricht von der Bibel. Wie ſchön! Wenn es auch nur naiv gemeint iſt: das heißt, wenn er auch nur,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/350
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/350>, abgerufen am 08.05.2024.