Sie bestand aus Reminiszenzen. Nachmittag sah ich einen Augenblick Bentheims Schwester; gestern war ich spaziren im schönsten Wetter, wo ich Menschen sah und sprach, morgen bin ich bei Eskeles. Also beklage mich nicht! So ist's aber. -- Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben, mit Krusemarck, gewiß noch besser. Doch gehe ich auch gern weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder, und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich. --
An M. Th. Robert, in Berlin.
Wien, Donnerstag den 16. März 1815.
Ich wollte so eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort die Nachrichten nachzuerzählen, die gestern der Staatskanzler sich befliß, den Frauen, vier, die vor Tische auf und am Ka- napee saßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; sie stehen aber alle buchstäblich, wie er sie sagte, im heutigen Beobachter. Also lies nur. Sie schienen mir auch gestern nichts zu bedeu- ten (da ich sie ohnehin schon vorher wußte), als eine große amenite des Fürsten. Der Aufsatz über der acht Mächte De- klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht zu des Kanzlers Erzählungen, ist von Gentz, und unendlich schwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. (De par tous les diables, möchte man anheben!) Was hat er die Mächte zu entschuldigen, und zu kommentiren: und eine klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder ist sie nicht recht klar? die ganze Maßregel ist so sehr richtig, daß
Sie beſtand aus Reminiszenzen. Nachmittag ſah ich einen Augenblick Bentheims Schweſter; geſtern war ich ſpaziren im ſchönſten Wetter, wo ich Menſchen ſah und ſprach, morgen bin ich bei Eskeles. Alſo beklage mich nicht! So iſt’s aber. — Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben, mit Kruſemarck, gewiß noch beſſer. Doch gehe ich auch gern weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder, und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich. —
An M. Th. Robert, in Berlin.
Wien, Donnerstag den 16. März 1815.
Ich wollte ſo eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort die Nachrichten nachzuerzählen, die geſtern der Staatskanzler ſich befliß, den Frauen, vier, die vor Tiſche auf und am Ka- napee ſaßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; ſie ſtehen aber alle buchſtäblich, wie er ſie ſagte, im heutigen Beobachter. Alſo lies nur. Sie ſchienen mir auch geſtern nichts zu bedeu- ten (da ich ſie ohnehin ſchon vorher wußte), als eine große aménité des Fürſten. Der Aufſatz über der acht Mächte De- klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht zu des Kanzlers Erzählungen, iſt von Gentz, und unendlich ſchwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. (De par tous les diables, möchte man anheben!) Was hat er die Mächte zu entſchuldigen, und zu kommentiren: und eine klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder iſt ſie nicht recht klar? die ganze Maßregel iſt ſo ſehr richtig, daß
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Sie beſtand aus Reminiszenzen. Nachmittag ſah ich einen
Augenblick Bentheims Schweſter; geſtern war ich ſpaziren im
ſchönſten Wetter, wo ich Menſchen ſah und ſprach, morgen
bin ich bei Eskeles. Alſo beklage mich nicht! So iſt’s aber. —
Wien behagt mir mehr im Frühling, und muß ich bleiben,
mit Kruſemarck, gewiß noch beſſer. Doch gehe ich auch gern
weg. Kurz, wie es kommt: meine Familie, und die Kinder,
und die alten Bekannten, liebe ich, und brauche ich. —
An M. Th. Robert, in Berlin.
Wien, Donnerstag den 16. März 1815.
Ich wollte ſo eben mich befleißigen, euch Wort vor Wort
die Nachrichten nachzuerzählen, die geſtern der Staatskanzler
ſich befliß, den Frauen, vier, die vor Tiſche auf und am Ka-
napee ſaßen, zur Unterhaltung mitzutheilen; ſie ſtehen aber
alle buchſtäblich, wie er ſie ſagte, im heutigen Beobachter.
Alſo lies nur. Sie ſchienen mir auch geſtern nichts zu bedeu-
ten (da ich ſie ohnehin ſchon vorher wußte), als eine große
aménité des Fürſten. Der Aufſatz über der acht Mächte De-
klaration, womit heute der Beobachter anfängt, gehört nicht
zu des Kanzlers Erzählungen, iſt von Gentz, und unendlich
ſchwach. Die Erfindung: die Ausführung nicht minder. (De
par tous les diables, möchte man anheben!) Was hat er die
Mächte zu entſchuldigen, und zu kommentiren: und eine
klare Sache zu erklären; und wem zu erklären. Oder iſt ſie
nicht recht klar? die ganze Maßregel iſt ſo ſehr richtig, daß
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/274>, abgerufen am 25.11.2024.
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