Gemüthern seit so vielen Jahren vorging, und was sich nun in diesen letzten Zeiten so glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu- lassen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer solchen Vollständigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen sollte, mich nur wiederholen müßte.
Mein stiller Wunsch, diese Arbeit nicht nur für Berlin, sondern für das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die Zukunft unternommen zu haben, scheint sich durch Ihren Antrag der Er- füllung zu nähern.
Jenes Drama ist dergestalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation, Rezitation mit melodramatischer Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie, Duett, Terzett und Chor mit einander abwechseln, so daß die vorzüglich- sten Schauspieler sowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln können. Hr. Kapellmeister Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo- sition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Musterstücken, von gro- ßer und schöner Wirkung sein muß.
Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erscheinen, und Sie werden alsdann selbst urtheilen, ob es werth sei, ein Sekularstück zu werden, und ob es Ihren Wünschen entspreche. Haben Sie alsdann die Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu sagen, und erhalten mir bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenst
Goethe.
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Töplitz, Sonntag den 17. Juli 1814. Kurz vor dem Bade 12 Uhr.
Ich wollte Ihnen einen langen -- ich kann keinen kurzen machen -- detaillirten Brief schreiben; der sollte so anfangen: "Ich mag Varnhagens schönes Schreiben nicht verschampfiren, liebe Berliner, theure Ojeser Freunde!" und so würde er fortge- flossen sein und Ihnen gesagt haben, wie ich hier nicht schreiben kann; und dabei erzählt haben, wie es hier ist: wie ich es finde, wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe. Alles war zu diesem gewiß angenehmen, denn er wäre treu
Gemüthern ſeit ſo vielen Jahren vorging, und was ſich nun in dieſen letzten Zeiten ſo glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu- laſſen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer ſolchen Vollſtändigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen ſollte, mich nur wiederholen müßte.
Mein ſtiller Wunſch, dieſe Arbeit nicht nur für Berlin, ſondern für das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, ſondern auch für die Zukunft unternommen zu haben, ſcheint ſich durch Ihren Antrag der Er- füllung zu nähern.
Jenes Drama iſt dergeſtalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation, Rezitation mit melodramatiſcher Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie, Duett, Terzett und Chor mit einander abwechſeln, ſo daß die vorzüglich- ſten Schauſpieler ſowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln können. Hr. Kapellmeiſter Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo- ſition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Muſterſtücken, von gro- ßer und ſchöner Wirkung ſein muß.
Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erſcheinen, und Sie werden alsdann ſelbſt urtheilen, ob es werth ſei, ein Sekularſtück zu werden, und ob es Ihren Wünſchen entſpreche. Haben Sie alsdann die Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu ſagen, und erhalten mir bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenſt
Goethe.
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Töplitz, Sonntag den 17. Juli 1814. Kurz vor dem Bade 12 Uhr.
Ich wollte Ihnen einen langen — ich kann keinen kurzen machen — detaillirten Brief ſchreiben; der ſollte ſo anfangen: „Ich mag Varnhagens ſchönes Schreiben nicht verſchampfiren, liebe Berliner, theure Ojeſer Freunde!“ und ſo würde er fortge- floſſen ſein und Ihnen geſagt haben, wie ich hier nicht ſchreiben kann; und dabei erzählt haben, wie es hier iſt: wie ich es finde, wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe. Alles war zu dieſem gewiß angenehmen, denn er wäre treu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0237"n="229"/>
Gemüthern ſeit ſo vielen Jahren vorging, und was ſich nun in dieſen<lb/>
letzten Zeiten ſo glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu-<lb/>
laſſen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer<lb/>ſolchen Vollſtändigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen ſollte,<lb/>
mich nur wiederholen müßte.</p><lb/><p>Mein ſtiller Wunſch, dieſe Arbeit nicht nur für Berlin, ſondern für<lb/>
das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, ſondern auch für die<lb/>
Zukunft unternommen zu haben, ſcheint ſich durch Ihren Antrag der Er-<lb/>
füllung zu nähern.</p><lb/><p>Jenes Drama iſt dergeſtalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation,<lb/>
Rezitation mit melodramatiſcher Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie,<lb/>
Duett, Terzett und Chor mit einander abwechſeln, ſo daß die vorzüglich-<lb/>ſten Schauſpieler ſowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln<lb/>
können. Hr. Kapellmeiſter Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo-<lb/>ſition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Muſterſtücken, von gro-<lb/>
ßer und ſchöner Wirkung ſein muß.</p><lb/><p>Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erſcheinen, und<lb/>
Sie werden alsdann ſelbſt urtheilen, ob es werth ſei, ein Sekularſtück zu<lb/>
werden, und ob es Ihren Wünſchen entſpreche. Haben Sie alsdann die<lb/>
Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu ſagen, und erhalten mir<lb/>
bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenſt</p><lb/><closer><salute><hirendition="#et"><hirendition="#g">Goethe</hi>.</hi></salute></closer></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Karoline von Woltmann, in Prag.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Töplitz, Sonntag den 17. Juli 1814.<lb/>
Kurz vor dem Bade 12 Uhr.</hi></dateline><lb/><p>Ich wollte Ihnen einen langen — ich kann keinen kurzen<lb/>
machen — detaillirten Brief ſchreiben; der ſollte ſo anfangen:<lb/>„Ich mag Varnhagens ſchönes Schreiben nicht verſchampfiren,<lb/>
liebe Berliner, theure Ojeſer Freunde!“ und ſo würde er fortge-<lb/>
floſſen ſein und Ihnen geſagt haben, wie ich hier <hirendition="#g">nicht</hi>ſchreiben<lb/>
kann; und dabei erzählt haben, wie es hier iſt: wie ich es finde,<lb/>
wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe.<lb/>
Alles war zu dieſem gewiß angenehmen, denn er wäre treu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[229/0237]
Gemüthern ſeit ſo vielen Jahren vorging, und was ſich nun in dieſen
letzten Zeiten ſo glücklich entfaltet hat. Mein Bemühen, nichts zurückzu-
laſſen, was man fordern und erwarten könnte, hat jenes Stück zu einer
ſolchen Vollſtändigkeit gebracht, daß ich, wenn ich ein neues fertigen ſollte,
mich nur wiederholen müßte.
Mein ſtiller Wunſch, dieſe Arbeit nicht nur für Berlin, ſondern für
das ganze Vaterland, nicht nur für den Augenblick, ſondern auch für die
Zukunft unternommen zu haben, ſcheint ſich durch Ihren Antrag der Er-
füllung zu nähern.
Jenes Drama iſt dergeſtalt eingerichtet, daß ganz reine Rezitation,
Rezitation mit melodramatiſcher Begleitung, Rezitativ, Kavatine, Arie,
Duett, Terzett und Chor mit einander abwechſeln, ſo daß die vorzüglich-
ſten Schauſpieler ſowohl als die Sänger darin ihre Talente entwickeln
können. Hr. Kapellmeiſter Weber arbeitet an der dazu nöthigen Kompo-
ſition, welche, nach den mir bekannt gewordenen Muſterſtücken, von gro-
ßer und ſchöner Wirkung ſein muß.
Das Stück wird gleich nach der Aufführung gedruckt erſcheinen, und
Sie werden alsdann ſelbſt urtheilen, ob es werth ſei, ein Sekularſtück zu
werden, und ob es Ihren Wünſchen entſpreche. Haben Sie alsdann die
Gefälligkeit, mir ganz offen Ihre Meinung zu ſagen, und erhalten mir
bis dahin Ihr freundliches Andenken. Ergebenſt
Goethe.
An Karoline von Woltmann, in Prag.
Töplitz, Sonntag den 17. Juli 1814.
Kurz vor dem Bade 12 Uhr.
Ich wollte Ihnen einen langen — ich kann keinen kurzen
machen — detaillirten Brief ſchreiben; der ſollte ſo anfangen:
„Ich mag Varnhagens ſchönes Schreiben nicht verſchampfiren,
liebe Berliner, theure Ojeſer Freunde!“ und ſo würde er fortge-
floſſen ſein und Ihnen geſagt haben, wie ich hier nicht ſchreiben
kann; und dabei erzählt haben, wie es hier iſt: wie ich es finde,
wie es mir geht, was ich denke, und wie ich an Sie gedacht habe.
Alles war zu dieſem gewiß angenehmen, denn er wäre treu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/237>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.