Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ten ausbrechen müssen. Diesen kann ich mich in meinem Zu-
stand -- auch schon der Besorglichkeit nicht -- durchaus nicht
allein mit Dore aussetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er-
liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre schon das größte
Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich
vor drei Jahren schon nicht mehr ohne die größten Beschwer-
den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der
solideste Mann, der Bentheims Adjutant hier war, sagte mir
vor fünf Tagen die schöne Nachricht von Töplitz, und bezeich-
nete mir ganz unschuldig die Örter, wo ich hin spaziren kann:
und die, wo nicht! Also muß ich hier sitzen, und mich abbo-
ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen,
wage ich es! dann werde ich sehen wie es ist: und schreib'
ich, ihr könnt kommen, so müßt ihr. Fanny und Hanne,
quält sehr! Es geht. Fanny, überlege was du sagst! "Rei-
selust gebüßt"? sagst du? Ja! abgebüßt. Nennst du dies rei-
sen? solche Mörderflucht: unter solchen innren näheren, und
äußern ferneren Umständen? solchen angstvollen, schreckli-
chen, Schmerzensaufenthalt, -- nach Kulm: was ich da sah,
und thun mußte! und gleich nachher solche gottverfluchte
Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das
ist gereist? und das soll mir die Reiselust heilen! Genug,
wenn dies sie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich scheide
in der größten Leidenschaft gut: dies ist nicht gereist! Rei-
sen ist: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit
einer trostreichen Börse, von einem schönen Ort zum an-
dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und
wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,

ten ausbrechen müſſen. Dieſen kann ich mich in meinem Zu-
ſtand — auch ſchon der Beſorglichkeit nicht — durchaus nicht
allein mit Dore ausſetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er-
liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre ſchon das größte
Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich
vor drei Jahren ſchon nicht mehr ohne die größten Beſchwer-
den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der
ſolideſte Mann, der Bentheims Adjutant hier war, ſagte mir
vor fünf Tagen die ſchöne Nachricht von Töplitz, und bezeich-
nete mir ganz unſchuldig die Örter, wo ich hin ſpaziren kann:
und die, wo nicht! Alſo muß ich hier ſitzen, und mich abbo-
ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen,
wage ich es! dann werde ich ſehen wie es iſt: und ſchreib’
ich, ihr könnt kommen, ſo müßt ihr. Fanny und Hanne,
quält ſehr! Es geht. Fanny, überlege was du ſagſt! „Rei-
ſeluſt gebüßt“? ſagſt du? Ja! abgebüßt. Nennſt du dies rei-
ſen? ſolche Mörderflucht: unter ſolchen innren näheren, und
äußern ferneren Umſtänden? ſolchen angſtvollen, ſchreckli-
chen, Schmerzensaufenthalt, — nach Kulm: was ich da ſah,
und thun mußte! und gleich nachher ſolche gottverfluchte
Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das
iſt gereiſt? und das ſoll mir die Reiſeluſt heilen! Genug,
wenn dies ſie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich ſcheide
in der größten Leidenſchaft gut: dies iſt nicht gereiſt! Rei-
ſen iſt: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit
einer troſtreichen Börſe, von einem ſchönen Ort zum an-
dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und
wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0229" n="221"/>
ten ausbrechen mü&#x017F;&#x017F;en. Die&#x017F;en kann ich mich in meinem Zu-<lb/>
&#x017F;tand &#x2014; auch &#x017F;chon der Be&#x017F;orglichkeit nicht &#x2014; durchaus nicht<lb/>
allein mit Dore aus&#x017F;etzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er-<lb/>
liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre &#x017F;chon das größte<lb/>
Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich<lb/>
vor drei Jahren &#x017F;chon nicht mehr ohne die größten Be&#x017F;chwer-<lb/>
den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der<lb/>
&#x017F;olide&#x017F;te Mann, der Bentheims Adjutant hier war, &#x017F;agte mir<lb/>
vor fünf Tagen die &#x017F;chöne Nachricht von Töplitz, und bezeich-<lb/>
nete mir ganz un&#x017F;chuldig die Örter, wo ich hin &#x017F;paziren kann:<lb/>
und die, wo nicht! Al&#x017F;o muß ich hier &#x017F;itzen, und mich abbo-<lb/>
ßen. <hi rendition="#g">Mit</hi> Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen,<lb/>
wage ich es! dann werde ich &#x017F;ehen wie es i&#x017F;t: und &#x017F;chreib&#x2019;<lb/><hi rendition="#g">ich</hi>, ihr könnt kommen, &#x017F;o <hi rendition="#g">müßt</hi> ihr. Fanny und Hanne,<lb/>
quält &#x017F;ehr! Es geht. Fanny, überlege was du &#x017F;ag&#x017F;t! &#x201E;Rei-<lb/>
&#x017F;elu&#x017F;t gebüßt&#x201C;? &#x017F;ag&#x017F;t du? Ja! abgebüßt. Nenn&#x017F;t du dies rei-<lb/>
&#x017F;en? &#x017F;olche Mörderflucht: unter &#x017F;olchen innren näheren, und<lb/>
äußern ferneren Um&#x017F;tänden? &#x017F;olchen ang&#x017F;tvollen, &#x017F;chreckli-<lb/>
chen, Schmerzensaufenthalt, &#x2014; nach Kulm: was ich da &#x017F;ah,<lb/>
und <hi rendition="#g">thun</hi> mußte! und gleich nachher &#x017F;olche gottverfluchte<lb/>
Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das<lb/>
i&#x017F;t gerei&#x017F;t? und das &#x017F;oll mir die Rei&#x017F;elu&#x017F;t heilen! Genug,<lb/>
wenn dies &#x017F;ie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich &#x017F;cheide<lb/>
in der größten Leiden&#x017F;chaft gut: dies <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> nicht gerei&#x017F;t! Rei-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit<lb/>
einer tro&#x017F;treichen Bör&#x017F;e, von einem &#x017F;chönen Ort zum an-<lb/>
dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und<lb/>
wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0229] ten ausbrechen müſſen. Dieſen kann ich mich in meinem Zu- ſtand — auch ſchon der Beſorglichkeit nicht — durchaus nicht allein mit Dore ausſetzen! Einer Krankheit müßte ich jetzt er- liegen. Auch wenn Dore nur einfiele, wäre ſchon das größte Unglück für mich: in einem angreifenden Bade, welches ich vor drei Jahren ſchon nicht mehr ohne die größten Beſchwer- den und Nachwehen ertragen konnte. Hauptmann John, der ſolideſte Mann, der Bentheims Adjutant hier war, ſagte mir vor fünf Tagen die ſchöne Nachricht von Töplitz, und bezeich- nete mir ganz unſchuldig die Örter, wo ich hin ſpaziren kann: und die, wo nicht! Alſo muß ich hier ſitzen, und mich abbo- ßen. Mit Varnhagen, wenn wir nicht wo anders hingehen, wage ich es! dann werde ich ſehen wie es iſt: und ſchreib’ ich, ihr könnt kommen, ſo müßt ihr. Fanny und Hanne, quält ſehr! Es geht. Fanny, überlege was du ſagſt! „Rei- ſeluſt gebüßt“? ſagſt du? Ja! abgebüßt. Nennſt du dies rei- ſen? ſolche Mörderflucht: unter ſolchen innren näheren, und äußern ferneren Umſtänden? ſolchen angſtvollen, ſchreckli- chen, Schmerzensaufenthalt, — nach Kulm: was ich da ſah, und thun mußte! und gleich nachher ſolche gottverfluchte Krankheit, von der ich mich gar nicht erholen kann! Das iſt gereiſt? und das ſoll mir die Reiſeluſt heilen! Genug, wenn dies ſie mir nicht auf ewig vergällt! Aber ich ſcheide in der größten Leidenſchaft gut: dies iſt nicht gereiſt! Rei- ſen iſt: bequem, und ruhig, über Freunde und Habe, mit einer troſtreichen Börſe, von einem ſchönen Ort zum an- dern ziehen; und die ruhig betrachten, und erwägen, und wahrhaft drin leben: nicht leiden, rechnen, warten, Gram,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/229
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/229>, abgerufen am 21.11.2024.