während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das: und Gott weiß sehr gut, daß es so sein muß, und nachher wieder anders. In weitere Kreise dringt das feine, in allem unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuströmen scheint, und dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung seines eigenen Daseins ausmacht. (Die Phrase ist nicht wie von mir; zu gut.) --
Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich stünde mit Mar- witz vor Krausens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür waren; sie an den vielen Fenstern: ich sah nicht hin, sondern war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual- tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar- witz über die Andern, weil ich mich schäme über ihn zu fra- gen: "die leben ja alle noch? also sie waren nicht todt?" und so vielemale: er sagt immer nur in einem langen ver- legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: "Hm? Hm!" Während des Fragens schlag' ich die Augen in die Höhe; und Prinz Louis steht hoch am offenen Fenster, in Generals- kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menschen da sind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich, wie immer im Leben: und etwas ironisch: und diesmal, als wüßt' er, daß ich mich wundere; und er wisse es besser; und lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in's Haus trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern, wo alle Verstorbenen sind: ich frage Mama, die mir nicht
während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das: und Gott weiß ſehr gut, daß es ſo ſein muß, und nachher wieder anders. In weitere Kreiſe dringt das feine, in allem unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuſtrömen ſcheint, und dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung ſeines eigenen Daſeins ausmacht. (Die Phraſe iſt nicht wie von mir; zu gut.) —
Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich ſtünde mit Mar- witz vor Krauſens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür waren; ſie an den vielen Fenſtern: ich ſah nicht hin, ſondern war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual- tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar- witz über die Andern, weil ich mich ſchäme über ihn zu fra- gen: „die leben ja alle noch? alſo ſie waren nicht todt?“ und ſo vielemale: er ſagt immer nur in einem langen ver- legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: „Hm? Hm!“ Während des Fragens ſchlag’ ich die Augen in die Höhe; und Prinz Louis ſteht hoch am offenen Fenſter, in Generals- kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menſchen da ſind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich, wie immer im Leben: und etwas ironiſch: und diesmal, als wüßt’ er, daß ich mich wundere; und er wiſſe es beſſer; und lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in’s Haus trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern, wo alle Verſtorbenen ſind: ich frage Mama, die mir nicht
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während dem, als hätte man um nichts zu bitten, als das:
und Gott weiß ſehr gut, daß es ſo ſein muß, und nachher
wieder anders. In weitere Kreiſe dringt das feine, in allem
unbegreifliche Leben, als da, wo es auszuſtrömen ſcheint, und
dem Gefühle, und allen Sinnen nach, die Bedingung ſeines
eigenen Daſeins ausmacht. (Die Phraſe iſt nicht wie von
mir; zu gut.) —
Gegen Morgen hatte mir geträumt, ich ſtünde mit Mar-
witz vor Krauſens Haus in Berlin, wo wegen Revüe viele
Offiziere wohnten, deren Pferde und Reitknechte vor der Thür
waren; ſie an den vielen Fenſtern: ich ſah nicht hin, ſondern
war nur über Marwitz verwundert, und noch mehr über alle
Todte, die ich liebte, und die da lebten. Mama, Veit, Gual-
tieri, Selle, Herz, und viele mehr. Ich frage immer Mar-
witz über die Andern, weil ich mich ſchäme über ihn zu fra-
gen: „die leben ja alle noch? alſo ſie waren nicht todt?“
und ſo vielemale: er ſagt immer nur in einem langen ver-
legenen, halb dummen, unartikulirten Ton: „Hm? Hm!“
Während des Fragens ſchlag’ ich die Augen in die Höhe;
und Prinz Louis ſteht hoch am offenen Fenſter, in Generals-
kleidern, und gepudert: ich grüße ihn, weil die Menſchen da
ſind, wie einen Prinzen; er grüßt, und nickt mir freundlich,
wie immer im Leben: und etwas ironiſch: und diesmal, als
wüßt’ er, daß ich mich wundere; und er wiſſe es beſſer; und
lächle über mich. Ich halte alle ihre Todesnachrichten für
einen Irrthum, und glaube an ihr Leben. Als ich in’s Haus
trete, bin ich in geräumigen, ziemlich dunkeln Wirthszimmern,
wo alle Verſtorbenen ſind: ich frage Mama, die mir nicht
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/224>, abgerufen am 22.11.2024.
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