nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte sich recht eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Voraussetzung, und von der ihr selbst nur zu mißfälligen Erscheinung ihrer selbst. Zum Beispiel ist ihr mit das Gräßlichste: Verlegen- heit; für sie oder für Andre beinah gleich; und in den aller- peinlichsten, unerträglichsten Augenblicken einer solchen zeigt sie sich immer dreist, thätig und mit Geistesgegenwart; und kein Mensch erahndet auch nur bei solchen Gelegenheiten, wie ihr ungefähr ist. Sie loben sie immer wegen ihrer Uner- schütterlichkeit, oder wie sie es sonst nennen: wenn sie sich aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen bluten läßt, ohne nur sich hinzuwenden, oder einen Wehlaut daraus hervor zu lassen. O! Maske, Maske! Du bist keine Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift bist! Masken durchzusehen, ist eine wahre Wohlthat für das Men- schengeschlecht. Diese Wohlthat übt T. im höchsten Sinn und viel in der Welt. --
Zwei unaussprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt niemand. O! könnt' ich sie darstellen, wie ich sie kenne! Jede Eigenschaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es ist mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran. Drum beicht' ich sie gern. Ja, denk dir, es existiren zwei Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühster Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt; beide find' ich sehr ähnlich: und es sind die widerwärtigsten Gesichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen- schaften bis zum langgezogenen Fehler darin sehe. Auch in
nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte ſich recht eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Vorausſetzung, und von der ihr ſelbſt nur zu mißfälligen Erſcheinung ihrer ſelbſt. Zum Beiſpiel iſt ihr mit das Gräßlichſte: Verlegen- heit; für ſie oder für Andre beinah gleich; und in den aller- peinlichſten, unerträglichſten Augenblicken einer ſolchen zeigt ſie ſich immer dreiſt, thätig und mit Geiſtesgegenwart; und kein Menſch erahndet auch nur bei ſolchen Gelegenheiten, wie ihr ungefähr iſt. Sie loben ſie immer wegen ihrer Uner- ſchütterlichkeit, oder wie ſie es ſonſt nennen: wenn ſie ſich aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen bluten läßt, ohne nur ſich hinzuwenden, oder einen Wehlaut daraus hervor zu laſſen. O! Maske, Maske! Du biſt keine Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift biſt! Masken durchzuſehen, iſt eine wahre Wohlthat für das Men- ſchengeſchlecht. Dieſe Wohlthat übt T. im höchſten Sinn und viel in der Welt. —
Zwei unausſprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt niemand. O! könnt’ ich ſie darſtellen, wie ich ſie kenne! Jede Eigenſchaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es iſt mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran. Drum beicht’ ich ſie gern. Ja, denk dir, es exiſtiren zwei Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühſter Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt; beide find’ ich ſehr ähnlich: und es ſind die widerwärtigſten Geſichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen- ſchaften bis zum langgezogenen Fehler darin ſehe. Auch in
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nimmt man aber (mit hinlänglichem Rechte zwar auch) für
ihren Karakter; der aber in des Herzens Mitte ſich recht
eigentlich geflüchtet hat, gegen die rohe, flache Vorausſetzung,
und von der ihr ſelbſt nur zu mißfälligen Erſcheinung ihrer
ſelbſt. Zum Beiſpiel iſt ihr mit das Gräßlichſte: Verlegen-
heit; für ſie oder für Andre beinah gleich; und in den aller-
peinlichſten, unerträglichſten Augenblicken einer ſolchen zeigt
ſie ſich immer dreiſt, thätig und mit Geiſtesgegenwart; und
kein Menſch erahndet auch nur bei ſolchen Gelegenheiten, wie
ihr ungefähr iſt. Sie loben ſie immer wegen ihrer Uner-
ſchütterlichkeit, oder wie ſie es ſonſt nennen: wenn ſie ſich
aus Schamhaftigkeit aufopfert, und ganze Hiebe im Herzen
bluten läßt, ohne nur ſich hinzuwenden, oder einen Wehlaut
daraus hervor zu laſſen. O! Maske, Maske! Du biſt keine
Maske; wer kann dich loswerden, wenn du eine Mitgift biſt!
Masken durchzuſehen, iſt eine wahre Wohlthat für das Men-
ſchengeſchlecht. Dieſe Wohlthat übt T. im höchſten Sinn und
viel in der Welt. —
Zwei unausſprechliche Fehler hab ich aber: und die kennt
niemand. O! könnt’ ich ſie darſtellen, wie ich ſie kenne! Jede
Eigenſchaft wird einer, die man nicht regieren kann. Es iſt
mir nie gelungen, und ich verzweifle nun auch ganz dran.
Drum beicht’ ich ſie gern. Ja, denk dir, es exiſtiren zwei
Abbildungen von mir, ein Basrelief von Tiecks frühſter
Arbeit, und das Bild, welches bei meinem Bruder hängt;
beide find’ ich ſehr ähnlich: und es ſind die widerwärtigſten
Geſichter für mich, die ich kenne. Bloß, weil ich jene Eigen-
ſchaften bis zum langgezogenen Fehler darin ſehe. Auch in
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/193>, abgerufen am 09.11.2024.
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