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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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das ist die innre Luft, in der die Seele athmen oder ersticken
muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden
machen, sich arm werden sehen: sich einschränken müssen --
nicht begränzen -- sondern ordentlich einschränken müssen: ist
nicht plaisant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmst
und dich auch für deine Rechnung freust, daß die stockende
Erbschaft sich löst. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich
dreist sagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat so
viel nehmen, als ungefähr - - machen. Was meine Krank-
heit kostete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch
du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch
immer aufbewahrte, und zur Reise. Nicht einen Pfennig
hab' ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß
nah an dreihundert Thaler kosten; das sehe ich schon jetzt.
Ich schreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer
Hut habe ich noch; zum Winter schwarz gefärbt, aber noch
nicht
aufgehabt!!! Einen schwarzen Wattenrock habe ich zur
Krankheit im Hause haben müssen, die allernöthigsten Schuh
und Handschuh. Sonst nichts. Aber oblique Ausgaben hat
man immer. Und auch hier behauptet jeder, ich sei reich;
bei meiner Ruppigkeit.

Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenschaftlich-
keit; sondern ob einem im Leben etwas gelungen ist oder
nicht; und von Einsicht, ob einem auf gradem Wege ohne
Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann. Unfähig-
keit der Natur hindert daran nicht, sondern ander Positives.
Ein Glück ist es; zu hoffen. Aber die Menschen z. B., die
immer hoffen was sie wünschen, sind mir bei ihrem Glück

II. 12

das iſt die innre Luft, in der die Seele athmen oder erſticken
muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden
machen, ſich arm werden ſehen: ſich einſchränken müſſen —
nicht begränzen — ſondern ordentlich einſchränken müſſen: iſt
nicht plaiſant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmſt
und dich auch für deine Rechnung freuſt, daß die ſtockende
Erbſchaft ſich löſt. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich
dreiſt ſagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat ſo
viel nehmen, als ungefähr ‒ ‒ machen. Was meine Krank-
heit koſtete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch
du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch
immer aufbewahrte, und zur Reiſe. Nicht einen Pfennig
hab’ ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß
nah an dreihundert Thaler koſten; das ſehe ich ſchon jetzt.
Ich ſchreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer
Hut habe ich noch; zum Winter ſchwarz gefärbt, aber noch
nicht
aufgehabt!!! Einen ſchwarzen Wattenrock habe ich zur
Krankheit im Hauſe haben müſſen, die allernöthigſten Schuh
und Handſchuh. Sonſt nichts. Aber oblique Ausgaben hat
man immer. Und auch hier behauptet jeder, ich ſei reich;
bei meiner Ruppigkeit.

Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenſchaftlich-
keit; ſondern ob einem im Leben etwas gelungen iſt oder
nicht; und von Einſicht, ob einem auf gradem Wege ohne
Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann. Unfähig-
keit der Natur hindert daran nicht, ſondern ander Poſitives.
Ein Glück iſt es; zu hoffen. Aber die Menſchen z. B., die
immer hoffen was ſie wünſchen, ſind mir bei ihrem Glück

II. 12
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[177/0185] das iſt die innre Luft, in der die Seele athmen oder erſticken muß. Zum Leben gehört aber mehr, als Athmen. Schulden machen, ſich arm werden ſehen: ſich einſchränken müſſen — nicht begränzen — ſondern ordentlich einſchränken müſſen: iſt nicht plaiſant. Ich glaube dir, daß du Theil daran nimmſt und dich auch für deine Rechnung freuſt, daß die ſtockende Erbſchaft ſich löſt. Einzurichten weiß ich mich, das darf ich dreiſt ſagen. Ich werde von dem Kredit nur alle Monat ſo viel nehmen, als ungefähr ‒ ‒ machen. Was meine Krank- heit koſtete, will ich von dem Gelde wechslen, was ich noch du weißt von wem habe; und welches ich zur Flucht noch immer aufbewahrte, und zur Reiſe. Nicht einen Pfennig hab’ ich unnöthig ausgegeben: aber die Krankheit wird gewiß nah an dreihundert Thaler koſten; das ſehe ich ſchon jetzt. Ich ſchreibe wie immer jeden Pfennig auf. Meinen Breslauer Hut habe ich noch; zum Winter ſchwarz gefärbt, aber noch nicht aufgehabt!!! Einen ſchwarzen Wattenrock habe ich zur Krankheit im Hauſe haben müſſen, die allernöthigſten Schuh und Handſchuh. Sonſt nichts. Aber oblique Ausgaben hat man immer. Und auch hier behauptet jeder, ich ſei reich; bei meiner Ruppigkeit. Nicht hoffen können kommt nicht von Leidenſchaftlich- keit; ſondern ob einem im Leben etwas gelungen iſt oder nicht; und von Einſicht, ob einem auf gradem Wege ohne Zuthun des reinen Glücks etwas gelingen kann. Unfähig- keit der Natur hindert daran nicht, ſondern ander Poſitives. Ein Glück iſt es; zu hoffen. Aber die Menſchen z. B., die immer hoffen was ſie wünſchen, ſind mir bei ihrem Glück II. 12

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/185>, abgerufen am 24.11.2024.