tig sein; im Fieber, und seines heftigen Sprechens wegen, vergaß ich Gentz zu fragen. Gestern, sagt er, und die Welt, müssen entscheidende Schläge vorgefallen sein. Des Ge- nerals Bentheim Adjutant kam gestern spät von Marienberg; wo unsre hiesige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin- den. Der Morast aber ist über alle menschliche Kräfte, nach diesem Regen hier, im Gebirge. Marienberg ist ganz an der sächsischen Gränze. Aber wo ist Napoleon? wo will er sich schlagen? Er hat dem österreichischen Kaiser einen Brief ge- schickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die Romane schreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich Unterhandlungen; diesen Brief, den ich gelesen habe, finde selbst ich schwach. Man hat ihm edel, gehalten, und gut geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles zu Grunde richten kann, lieber zu laufen gesonnen sei, als einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut sein müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar nicht geantwortet. Beides habe ich gelesen. (Die Jäger und Soldaten bestürmen mich schon jetzt, vor meinem Bette; ge- stern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geschehen.) Gestern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath Niebuhr an den König wegen der unseligen Verpflegung schrei- ben lassen. Ein Geheimniß. Wie findet ihr dies? Wenn heute Neues kommt, will ich's noch hier dran setzen. Ich äng- stige mich! Nichts tröstet mich ein wenig, als der wirklich sehr schwache Brief; den ich endlich einmal schwächer finde, als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß!
tig ſein; im Fieber, und ſeines heftigen Sprechens wegen, vergaß ich Gentz zu fragen. Geſtern, ſagt er, und die Welt, müſſen entſcheidende Schläge vorgefallen ſein. Des Ge- nerals Bentheim Adjutant kam geſtern ſpät von Marienberg; wo unſre hieſige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin- den. Der Moraſt aber iſt über alle menſchliche Kräfte, nach dieſem Regen hier, im Gebirge. Marienberg iſt ganz an der ſächſiſchen Gränze. Aber wo iſt Napoleon? wo will er ſich ſchlagen? Er hat dem öſterreichiſchen Kaiſer einen Brief ge- ſchickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die Romane ſchreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich Unterhandlungen; dieſen Brief, den ich geleſen habe, finde ſelbſt ich ſchwach. Man hat ihm edel, gehalten, und gut geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles zu Grunde richten kann, lieber zu laufen geſonnen ſei, als einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut ſein müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar nicht geantwortet. Beides habe ich geleſen. (Die Jäger und Soldaten beſtürmen mich ſchon jetzt, vor meinem Bette; ge- ſtern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geſchehen.) Geſtern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath Niebuhr an den König wegen der unſeligen Verpflegung ſchrei- ben laſſen. Ein Geheimniß. Wie findet ihr dies? Wenn heute Neues kommt, will ich’s noch hier dran ſetzen. Ich äng- ſtige mich! Nichts tröſtet mich ein wenig, als der wirklich ſehr ſchwache Brief; den ich endlich einmal ſchwächer finde, als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß!
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wo unſre hieſige Armee hinaus war, ohne einen Feind zu fin-
den. Der Moraſt aber iſt über alle menſchliche Kräfte, nach
dieſem Regen hier, im Gebirge. Marienberg iſt ganz an der
ſächſiſchen Gränze. Aber wo iſt Napoleon? wo will er ſich
ſchlagen? Er hat dem öſterreichiſchen Kaiſer einen Brief ge-
ſchickt durch General Flahault, den Sohn der Mutter, die
Romane ſchreibt; in dem er den Frieden anbietet: nämlich
Unterhandlungen; dieſen Brief, den ich geleſen habe, finde
ſelbſt ich ſchwach. Man hat ihm edel, gehalten, und gut
geantwortet: daß man die Gefahren eines Krieges, der alles
zu Grunde richten kann, lieber zu laufen geſonnen ſei, als
einen Frieden einzugehen, der auf Grundlagen gebaut ſein
müßte, die neue Leiden über die Länder bringen müßten; und
auf arme Formen, Ausreden und Kleinigkeiten hat man gar
nicht geantwortet. Beides habe ich geleſen. (Die Jäger und
Soldaten beſtürmen mich ſchon jetzt, vor meinem Bette; ge-
ſtern war ein Bureau davor eingerichtet: es muß geſchehen.)
Geſtern habe ich durch Marwitz den Geheimen Staatsrath
Niebuhr an den König wegen der unſeligen Verpflegung ſchrei-
ben laſſen. Ein Geheimniß. Wie findet ihr dies? Wenn
heute Neues kommt, will ich’s noch hier dran ſetzen. Ich äng-
ſtige mich! Nichts tröſtet mich ein wenig, als der wirklich
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als es Gentz und die Andern thun. Adieu indeß!
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/138>, abgerufen am 21.11.2024.
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