gewiesen, das ist auch viel und groß, wenn auch nicht leicht und angenehm. Du schreibst mir hierüber sehr richtig, theurer Freund! -- Ach wir wissen alles! Wir wollen aber fleißig und stark bleiben. Das Leben ist eine Arbeit, die man auf- bekömmt; und eine davon besteht darin, es verstehen, ertragen und ergreifen zu lernen; es nicht zu schätzen, weil es im All- gemeinen und einzeln unsicher ist; und es sehr zu schätzen, weil es eine Probe zu einer Existenz ist, und alles was wir kennen, und womit wir das Mögliche errathen. -- Gott gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Bescheidenheit. Unser armes Land leidet entsetzlich. Jeder Kerl geht mir in die Seele! Bauerndörfer! Aber sie benehmen sich wirklich noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art. Auf der Gasse kann man's hören, bei jeden Vorübergehenden, das Papier ist zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver- zweifeln, die nicht mit sollen; übernehmen drei, vier Posten und Stellen für ihre Brüder, und sagen, sie überleben die Schmach doch nicht! --
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr.
Heller, warmer Sonnenschein, und doch Wolken und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen alles jetzt. Blüthen strotzen vor Frische und Ju- gend des Moments.
Endlich geht Egloffstein und Moritz! Ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten
gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer Freund! — Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf- bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All- gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen, weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit. Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art. Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden, das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver- zweifeln, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die Schmach doch nicht! —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr.
Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju- gend des Moments.
Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten
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gewieſen, das iſt auch viel und groß, wenn auch nicht leicht
und angenehm. Du ſchreibſt mir hierüber ſehr richtig, theurer
Freund! — Ach wir wiſſen alles! Wir wollen aber fleißig
und ſtark bleiben. Das Leben iſt eine Arbeit, die man auf-
bekömmt; und eine davon beſteht darin, es verſtehen, ertragen
und ergreifen zu lernen; es nicht zu ſchätzen, weil es im All-
gemeinen und einzeln unſicher iſt; und es ſehr zu ſchätzen,
weil es eine Probe zu einer Exiſtenz iſt, und alles was wir
kennen, und womit wir das Mögliche errathen. — Gott
gebe meinen geliebten Landsleuten Muth und Beſcheidenheit.
Unſer armes Land leidet entſetzlich. Jeder Kerl geht mir in
die Seele! Bauerndörfer! Aber ſie benehmen ſich wirklich
noch gut! Alles hat Muth, Willen, und hilft in jeder Art.
Auf der Gaſſe kann man’s hören, bei jeden Vorübergehenden,
das Papier iſt zu klein zu allen Anekdoten! Jünglinge ver-
zweifeln, die nicht mit ſollen; übernehmen drei, vier Poſten
und Stellen für ihre Brüder, und ſagen, ſie überleben die
Schmach doch nicht! —
An Varnhagen, in Hamburg.
Berlin, Dienstag, den 27. April 1813. Mittags 1 Uhr.
Heller, warmer Sonnenſchein, und doch Wolken und Wölkchen
am Himmel. Lerchen in den Straßen übertönen
alles jetzt. Blüthen ſtrotzen vor Friſche und Ju-
gend des Moments.
Endlich geht Egloffſtein und Moritz! Ich konnte vor
Müdigkeit nicht mehr weiter leben; weil ich in drei Nächten
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/101>, abgerufen am 25.11.2024.
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