Alle Herren der Stadt lesen ihn. Was du darin geschrieben hast, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerste Wollen, und unser Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen Vandalen, Irokesen! Lieber guter August! in jetziger blutigen Zeit ist es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannst alles, und schreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen unserer letzten Katastrophe allein. Schon lange drückt mir eine Reil'sche Aussage, und mehr was ich von Lieferanten erfahren habe, das Herz! Reil sagte nämlich, als die Frauen hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn sie nicht selbst wirthschafteten, und der ganzen Ökonomie und Pflege vorstehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be- kämen die Kranken, was sie sollten. Der muß es erfahren haben. Sag' es recht populär, recht eindringlich, welche gräß- lichste Sünde eine Betrügerei an Kranken sei! daß jede Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren Mauern haben, an göttliche und menschliche Gerechtigkeit Anspruch haben will, daß sie ihr geschähe, die besten verehr- testen Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, solche Werke zu unternehmen und ihnen vorzustehen; daß kein Lie- ferant und kein Inspektor reich werden kann. Nenne unsere Stadt ja nicht: aber sage, in den bestgesinnten und vornehm- sten gingen noch Gräuel darin vor; also muß ganz Deutsch- land, ja die Welt sich gefallen lassen, Ermahnungen darüber zu hören; und durch die That sie beherzigen. -- -- Lieber August, wie dehnt sich alles! Wann kommt man zum Leben; lauter Bereitung, du bist schon mittendrin, und legst nur zu- recht: ich -- aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres
Alle Herren der Stadt leſen ihn. Was du darin geſchrieben haſt, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerſte Wollen, und unſer Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen Vandalen, Irokeſen! Lieber guter Auguſt! in jetziger blutigen Zeit iſt es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannſt alles, und ſchreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen unſerer letzten Kataſtrophe allein. Schon lange drückt mir eine Reil’ſche Ausſage, und mehr was ich von Lieferanten erfahren habe, das Herz! Reil ſagte nämlich, als die Frauen hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn ſie nicht ſelbſt wirthſchafteten, und der ganzen Ökonomie und Pflege vorſtehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be- kämen die Kranken, was ſie ſollten. Der muß es erfahren haben. Sag’ es recht populär, recht eindringlich, welche gräß- lichſte Sünde eine Betrügerei an Kranken ſei! daß jede Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren Mauern haben, an göttliche und menſchliche Gerechtigkeit Anſpruch haben will, daß ſie ihr geſchähe, die beſten verehr- teſten Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, ſolche Werke zu unternehmen und ihnen vorzuſtehen; daß kein Lie- ferant und kein Inſpektor reich werden kann. Nenne unſere Stadt ja nicht: aber ſage, in den beſtgeſinnten und vornehm- ſten gingen noch Gräuel darin vor; alſo muß ganz Deutſch- land, ja die Welt ſich gefallen laſſen, Ermahnungen darüber zu hören; und durch die That ſie beherzigen. — — Lieber Auguſt, wie dehnt ſich alles! Wann kommt man zum Leben; lauter Bereitung, du biſt ſchon mittendrin, und legſt nur zu- recht: ich — aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0100"n="92"/>
Alle Herren der Stadt leſen ihn. Was du darin geſchrieben<lb/>
haſt, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerſte<lb/>
Wollen, und unſer Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen<lb/>
Vandalen, Irokeſen! Lieber guter Auguſt! in jetziger blutigen<lb/>
Zeit iſt es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannſt<lb/>
alles, und ſchreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen<lb/><hirendition="#g">unſerer</hi> letzten Kataſtrophe <hirendition="#g">allein</hi>. Schon lange drückt<lb/>
mir eine Reil’ſche Ausſage, und mehr was ich von Lieferanten<lb/>
erfahren habe, das Herz! Reil ſagte nämlich, als die Frauen<lb/>
hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn<lb/>ſie nicht ſelbſt wirthſchafteten, und der ganzen Ökonomie und<lb/>
Pflege vorſtehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be-<lb/>
kämen die Kranken, was ſie ſollten. Der muß es erfahren<lb/>
haben. Sag’ es recht populär, recht eindringlich, welche gräß-<lb/>
lichſte Sünde eine Betrügerei an Kranken ſei! daß <hirendition="#g">jede</hi><lb/>
Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren<lb/>
Mauern haben, an göttliche und menſchliche Gerechtigkeit<lb/>
Anſpruch haben will, daß ſie ihr geſchähe, die beſten verehr-<lb/>
teſten Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, ſolche<lb/>
Werke zu unternehmen und ihnen vorzuſtehen; daß kein Lie-<lb/>
ferant und kein Inſpektor reich werden kann. Nenne <hirendition="#g">unſere</hi><lb/>
Stadt <hirendition="#g">ja</hi> nicht: aber ſage, in den beſtgeſinnten und vornehm-<lb/>ſten gingen noch Gräuel darin vor; alſo muß ganz Deutſch-<lb/>
land, ja die <hirendition="#g">Welt</hi>ſich gefallen laſſen, Ermahnungen darüber<lb/>
zu hören; und durch die That ſie beherzigen. —— Lieber<lb/>
Auguſt, wie dehnt ſich alles! <hirendition="#g">Wann</hi> kommt man zum Leben;<lb/>
lauter Bereitung, du biſt ſchon mittendrin, und legſt nur zu-<lb/>
recht: <hirendition="#g">ich</hi>— aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[92/0100]
Alle Herren der Stadt leſen ihn. Was du darin geſchrieben
haſt, freut mich in der Seele. Behalten wir Herz, das innerſte
Wollen, und unſer Urtheil rein, und heißen wir meinetwegen
Vandalen, Irokeſen! Lieber guter Auguſt! in jetziger blutigen
Zeit iſt es gewiß recht nöthig, gieb dir rechte Mühe, du kannſt
alles, und ſchreibe ein Wort über Lazarethe! Nicht wegen
unſerer letzten Kataſtrophe allein. Schon lange drückt
mir eine Reil’ſche Ausſage, und mehr was ich von Lieferanten
erfahren habe, das Herz! Reil ſagte nämlich, als die Frauen
hier ihr Lazareth errichten wollten, es helfe alles nichts, wenn
ſie nicht ſelbſt wirthſchafteten, und der ganzen Ökonomie und
Pflege vorſtehen wollten; in keinem Lazareth in der Welt be-
kämen die Kranken, was ſie ſollten. Der muß es erfahren
haben. Sag’ es recht populär, recht eindringlich, welche gräß-
lichſte Sünde eine Betrügerei an Kranken ſei! daß jede
Stadt, die den Namen verdienen will, eine Kirche in ihren
Mauern haben, an göttliche und menſchliche Gerechtigkeit
Anſpruch haben will, daß ſie ihr geſchähe, die beſten verehr-
teſten Bürger aus ihrer Mitte dazu hergeben muß, ſolche
Werke zu unternehmen und ihnen vorzuſtehen; daß kein Lie-
ferant und kein Inſpektor reich werden kann. Nenne unſere
Stadt ja nicht: aber ſage, in den beſtgeſinnten und vornehm-
ſten gingen noch Gräuel darin vor; alſo muß ganz Deutſch-
land, ja die Welt ſich gefallen laſſen, Ermahnungen darüber
zu hören; und durch die That ſie beherzigen. — — Lieber
Auguſt, wie dehnt ſich alles! Wann kommt man zum Leben;
lauter Bereitung, du biſt ſchon mittendrin, und legſt nur zu-
recht: ich — aber viel habe ich erlebt, und bin an Höheres
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/100>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.