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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834.

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eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeister,
Kammerdiener etc. will aber der Kosten wegen nicht mehr nach
Baden. So behandelt er sich, und desolirt die Kinder; zwei-
undsiebzig Jahr ist er alt. Und sagte alles vorher, wie es
jetzt kam. Er soll außerordentliche Kenntnisse haben. Ist aber
so gemüthskrank, daß er sterben muß. Sehr interessant. Die
Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze
Land und die Hergänge der Hauptstadt. Ich liebe es sehr
mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg-
lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß sie so be-
flissene Menschen haben, daß es so Thätige giebt, daß sich
das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die
Welt schiebt. Der Mann ist geadelt und dann baronisirt
worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit seinem Thun
und Wissen. Auch lernte ich, wie große Etablissements das
Land hat; dachte mir viel, wie es sein könnte; wie weit prah-
lerische, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo-
dische Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt sind, an
solchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein
edleres Wissen und derber Willen, zum Wohl der untern
Schichten des Volkes, und der Nation geweiht sein sollten,
damit es gesund von unten herauf, von der Wurzel her,
Blüthe und Überfluß, anstatt des ruppigen Luxus, erhält, an-
statt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht' ich; und
will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgre les
gouvernements
(Mirabeau). Ja, malgre erblüht, was Ein-
zelne thun; wenn man sie nur nicht stört durch Verbote!
Gott! wenn dereinst befördert würde!! Für alle Völker

II. 20

eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeiſter,
Kammerdiener ꝛc. will aber der Koſten wegen nicht mehr nach
Baden. So behandelt er ſich, und deſolirt die Kinder; zwei-
undſiebzig Jahr iſt er alt. Und ſagte alles vorher, wie es
jetzt kam. Er ſoll außerordentliche Kenntniſſe haben. Iſt aber
ſo gemüthskrank, daß er ſterben muß. Sehr intereſſant. Die
Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze
Land und die Hergänge der Hauptſtadt. Ich liebe es ſehr
mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg-
lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß ſie ſo be-
fliſſene Menſchen haben, daß es ſo Thätige giebt, daß ſich
das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die
Welt ſchiebt. Der Mann iſt geadelt und dann baroniſirt
worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit ſeinem Thun
und Wiſſen. Auch lernte ich, wie große Etabliſſements das
Land hat; dachte mir viel, wie es ſein könnte; wie weit prah-
leriſche, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo-
diſche Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt ſind, an
ſolchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein
edleres Wiſſen und derber Willen, zum Wohl der untern
Schichten des Volkes, und der Nation geweiht ſein ſollten,
damit es geſund von unten herauf, von der Wurzel her,
Blüthe und Überfluß, anſtatt des ruppigen Luxus, erhält, an-
ſtatt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht’ ich; und
will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgré les
gouvernements
(Mirabeau). Ja, malgré erblüht, was Ein-
zelne thun; wenn man ſie nur nicht ſtört durch Verbote!
Gott! wenn dereinſt befördert würde!! Für alle Völker

II. 20
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[305/0313] eine Etage in der Weintraube auf dem Hof, Haushofmeiſter, Kammerdiener ꝛc. will aber der Koſten wegen nicht mehr nach Baden. So behandelt er ſich, und deſolirt die Kinder; zwei- undſiebzig Jahr iſt er alt. Und ſagte alles vorher, wie es jetzt kam. Er ſoll außerordentliche Kenntniſſe haben. Iſt aber ſo gemüthskrank, daß er ſterben muß. Sehr intereſſant. Die Erzählung dauerte lange, gab mir aber Licht über das ganze Land und die Hergänge der Hauptſtadt. Ich liebe es ſehr mich durch bloßes Leben in einem Lande darüber unwiderleg- lich zu unterrichten. Ich nahm Theil daran, daß ſie ſo be- fliſſene Menſchen haben, daß es ſo Thätige giebt, daß ſich das fortbringt, trotz jedem Vorurtheil, und eigentlich die Welt ſchiebt. Der Mann iſt geadelt und dann baroniſirt worden; lebte en seigneur, und reichte weit mit ſeinem Thun und Wiſſen. Auch lernte ich, wie große Etabliſſements das Land hat; dachte mir viel, wie es ſein könnte; wie weit prah- leriſche, echauffirte Schlegel und Müller, und andere neumo- diſche Wiegler, in der hohlen Partheilichkeit entfernt ſind, an ſolchen Dingen den herzlichen Antheil zu nehmen, dem allein edleres Wiſſen und derber Willen, zum Wohl der untern Schichten des Volkes, und der Nation geweiht ſein ſollten, damit es geſund von unten herauf, von der Wurzel her, Blüthe und Überfluß, anſtatt des ruppigen Luxus, erhält, an- ſtatt des lumphaften Prahlerlobs! Solches dacht’ ich; und will es dir gerne mittheilen. Les peuples existent malgré les gouvernements (Mirabeau). Ja, malgré erblüht, was Ein- zelne thun; wenn man ſie nur nicht ſtört durch Verbote! Gott! wenn dereinſt befördert würde!! Für alle Völker II. 20

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde. Bd. 2. Berlin, 1834, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel02_1834/313>, abgerufen am 30.12.2024.