aus zu werden; und dann werd' ich wohl besser sehen. Sie wollen ein Freund sein?! zärtlich, und auf Ihrer Freunde Gesundheit bedacht, sind Sie in keinem Fall: wie können Sie mich während einer angreifenden Kur, mit einer solchen Arbeit beladen -- zu untersuchen, ob Sie verliebt sind. Ja, Sie sind es. Da haben Sie Ihren Schreck. Denn so sehr Sie die Gottlosigkeit studiren, so sehr erschrecken Sie sich doch; was man studirt, ist kein frei Geschenk der Götter, ist nicht mit uns geboren, das erlernen wir nie: bringen es wohl wei- ter drin, haben vor den Dummen viel voraus, aber vor uns selbst nichts; lasterhaft muß man auch geboren sein, und die Tugend muß man studiren, dann ist's was, dann liebt man ohne Schreck, dann handelt man: und fragt Jahre nach- her, in müßigen, unbesetzten, langweiligen Stunden sich selbst, ob man geliebt hat. Dahin bringen Sie's nie: also lieben Sie; Laster-Studenten, die lieben was sie liebenswür- dig finden, und wär' in ihrer Brust auch nur ein Fleckchen leer um ein Grübchen zu lieben, viel weniger denn, wenn ihr guter Geschmack da oft aufräumt, und es überhaupt geräumig ist wie in aller Brust, wo nur gewöhnlich zu viel umhersteht: also lieben Sie.
Glauben Sie nicht, daß ich das von heute her weiß, aber ich wußte nur nicht, daß Sie da noch Zweifel begegnen würden, wo sie mir selbst die freiste reinste Aussicht gestatte- ten; hier im Bade hatte ich mir die Mühe des Untersuchens nicht gemacht, nachgesehen habe ich noch einmal, und dieselbe Summa Liebe herausgebracht wie in Berlin. Dumm bin ich nicht geworden; wenn studirende Laien das Laster lieben, so
aus zu werden; und dann werd’ ich wohl beſſer ſehen. Sie wollen ein Freund ſein?! zärtlich, und auf Ihrer Freunde Geſundheit bedacht, ſind Sie in keinem Fall: wie können Sie mich während einer angreifenden Kur, mit einer ſolchen Arbeit beladen — zu unterſuchen, ob Sie verliebt ſind. Ja, Sie ſind es. Da haben Sie Ihren Schreck. Denn ſo ſehr Sie die Gottloſigkeit ſtudiren, ſo ſehr erſchrecken Sie ſich doch; was man ſtudirt, iſt kein frei Geſchenk der Götter, iſt nicht mit uns geboren, das erlernen wir nie: bringen es wohl wei- ter drin, haben vor den Dummen viel voraus, aber vor uns ſelbſt nichts; laſterhaft muß man auch geboren ſein, und die Tugend muß man ſtudiren, dann iſt’s was, dann liebt man ohne Schreck, dann handelt man: und fragt Jahre nach- her, in müßigen, unbeſetzten, langweiligen Stunden ſich ſelbſt, ob man geliebt hat. Dahin bringen Sie’s nie: alſo lieben Sie; Laſter-Studenten, die lieben was ſie liebenswür- dig finden, und wär’ in ihrer Bruſt auch nur ein Fleckchen leer um ein Grübchen zu lieben, viel weniger denn, wenn ihr guter Geſchmack da oft aufräumt, und es überhaupt geräumig iſt wie in aller Bruſt, wo nur gewöhnlich zu viel umherſteht: alſo lieben Sie.
Glauben Sie nicht, daß ich das von heute her weiß, aber ich wußte nur nicht, daß Sie da noch Zweifel begegnen würden, wo ſie mir ſelbſt die freiſte reinſte Ausſicht geſtatte- ten; hier im Bade hatte ich mir die Mühe des Unterſuchens nicht gemacht, nachgeſehen habe ich noch einmal, und dieſelbe Summa Liebe herausgebracht wie in Berlin. Dumm bin ich nicht geworden; wenn ſtudirende Laien das Laſter lieben, ſo
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aus zu werden; und dann werd’ ich wohl beſſer ſehen. Sie
wollen ein Freund ſein?! zärtlich, und auf Ihrer Freunde
Geſundheit bedacht, ſind Sie in keinem Fall: wie können Sie
mich während einer angreifenden Kur, mit einer ſolchen Arbeit
beladen — zu unterſuchen, ob Sie verliebt ſind. Ja, Sie
ſind es. Da haben Sie Ihren Schreck. Denn ſo ſehr Sie
die Gottloſigkeit ſtudiren, ſo ſehr erſchrecken Sie ſich doch;
was man ſtudirt, iſt kein frei Geſchenk der Götter, iſt nicht
mit uns geboren, das erlernen wir nie: bringen es wohl wei-
ter drin, haben vor den Dummen viel voraus, aber vor uns
ſelbſt nichts; laſterhaft muß man auch geboren ſein, und die
Tugend muß man ſtudiren, dann iſt’s was, dann liebt man
ohne Schreck, dann handelt man: und fragt Jahre nach-
her, in müßigen, unbeſetzten, langweiligen Stunden ſich
ſelbſt, ob man geliebt hat. Dahin bringen Sie’s nie: alſo
lieben Sie; Laſter-Studenten, die lieben was ſie liebenswür-
dig finden, und wär’ in ihrer Bruſt auch nur ein Fleckchen
leer um ein Grübchen zu lieben, viel weniger denn, wenn ihr
guter Geſchmack da oft aufräumt, und es überhaupt geräumig
iſt wie in aller Bruſt, wo nur gewöhnlich zu viel umherſteht:
alſo lieben Sie.
Glauben Sie nicht, daß ich das von heute her weiß,
aber ich wußte nur nicht, daß Sie da noch Zweifel begegnen
würden, wo ſie mir ſelbſt die freiſte reinſte Ausſicht geſtatte-
ten; hier im Bade hatte ich mir die Mühe des Unterſuchens
nicht gemacht, nachgeſehen habe ich noch einmal, und dieſelbe
Summa Liebe herausgebracht wie in Berlin. Dumm bin ich
nicht geworden; wenn ſtudirende Laien das Laſter lieben, ſo
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/88>, abgerufen am 15.10.2024.
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