ich mehr nicht sagen konnte, mir alles bei dachte: und meinte, du und die Andern müßten sich auch alles bei denken. Da trat Nettchen herein; ich kam zu mir, sprach und bewirthete sie gleich. Sie ging bald, ich ließ mir endlich Thee geben, und die Mädchen zu Bette gehen, gegen 7 schlief ich ein. Den ganzen Tag schlief ich krankhaft, mit einem Nebel um's Gehirn; ich trank schwarzen starken Kaffee um es zu bändi- gen; kam in Agitation; heilte mich langsam mit Stillliegen und Limonade. Töne konnt' ich nicht ertragen. Lesen, und Töne und Schreiben noch schwer. Ich gehe aus. War vor- gestern zum erstenmal in Tasso von Goethe; war diesen Mor- gen bei Markus, der unpaß ist, und auch besser. Ich zog mich erst an, und machte den Besuch bevor ich dir antwortete, weil das Lesen deines Briefes mich zu sehr angestrengt hatte. Das Buchstaben ziehen affizirt mich sehr. Also verzeih die Trockenheit des Briefes, er soll vor Tische fertig, weil er vor 7 auf die Post muß, und soll heute fort, damit du ihn, Lie- ber, Guter, Geliebter, -- eigentlich cher amant! -- geschwind bekommst. Ich kurire mich selbst; und bin sehr wider das Kuriren, nicht wider Ärzte, noch ihre Wissenschaft und Kunde. Wie man aber gewöhnlich kurirt, ist zu unsinnig, ja gefähr- lich. Ein Arzt muß mich kennen, übersehen, oft sehen, und vom Gang meines Innren wissen. Böhm sieht mich nie. Meine eigne Elastik muß mir helfen, oder mich tödten. Die Esel können, habe ich erfahren, beides nicht. Meine Krank- heit war rheumatischer Reiz, auf Drüsen und zerstörte über- reizbare Nerven, herabgestimmt vom Töplitzer Baden, und vom Stagniren des höchsten Organs, des Herzens. Dies hat
ich mehr nicht ſagen konnte, mir alles bei dachte: und meinte, du und die Andern müßten ſich auch alles bei denken. Da trat Nettchen herein; ich kam zu mir, ſprach und bewirthete ſie gleich. Sie ging bald, ich ließ mir endlich Thee geben, und die Mädchen zu Bette gehen, gegen 7 ſchlief ich ein. Den ganzen Tag ſchlief ich krankhaft, mit einem Nebel um’s Gehirn; ich trank ſchwarzen ſtarken Kaffee um es zu bändi- gen; kam in Agitation; heilte mich langſam mit Stillliegen und Limonade. Töne konnt’ ich nicht ertragen. Leſen, und Töne und Schreiben noch ſchwer. Ich gehe aus. War vor- geſtern zum erſtenmal in Taſſo von Goethe; war dieſen Mor- gen bei Markus, der unpaß iſt, und auch beſſer. Ich zog mich erſt an, und machte den Beſuch bevor ich dir antwortete, weil das Leſen deines Briefes mich zu ſehr angeſtrengt hatte. Das Buchſtaben ziehen affizirt mich ſehr. Alſo verzeih die Trockenheit des Briefes, er ſoll vor Tiſche fertig, weil er vor 7 auf die Poſt muß, und ſoll heute fort, damit du ihn, Lie- ber, Guter, Geliebter, — eigentlich cher amant! — geſchwind bekommſt. Ich kurire mich ſelbſt; und bin ſehr wider das Kuriren, nicht wider Ärzte, noch ihre Wiſſenſchaft und Kunde. Wie man aber gewöhnlich kurirt, iſt zu unſinnig, ja gefähr- lich. Ein Arzt muß mich kennen, überſehen, oft ſehen, und vom Gang meines Innren wiſſen. Böhm ſieht mich nie. Meine eigne Elaſtik muß mir helfen, oder mich tödten. Die Eſel können, habe ich erfahren, beides nicht. Meine Krank- heit war rheumatiſcher Reiz, auf Drüſen und zerſtörte über- reizbare Nerven, herabgeſtimmt vom Töplitzer Baden, und vom Stagniren des höchſten Organs, des Herzens. Dies hat
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ich mehr nicht ſagen konnte, mir alles bei dachte: und meinte,
du und die Andern müßten ſich auch alles bei denken. Da
trat Nettchen herein; ich kam zu mir, ſprach und bewirthete
ſie gleich. Sie ging bald, ich ließ mir endlich Thee geben,
und die Mädchen zu Bette gehen, gegen 7 ſchlief ich ein.
Den ganzen Tag ſchlief ich krankhaft, mit einem Nebel um’s
Gehirn; ich trank ſchwarzen ſtarken Kaffee um es zu bändi-
gen; kam in Agitation; heilte mich langſam mit Stillliegen
und Limonade. Töne konnt’ ich nicht ertragen. Leſen, und
Töne und Schreiben noch ſchwer. Ich gehe aus. War vor-
geſtern zum erſtenmal in Taſſo von Goethe; war dieſen Mor-
gen bei Markus, der unpaß iſt, und auch beſſer. Ich zog
mich erſt an, und machte den Beſuch bevor ich dir antwortete,
weil das Leſen deines Briefes mich zu ſehr angeſtrengt hatte.
Das Buchſtaben ziehen affizirt mich ſehr. Alſo verzeih die
Trockenheit des Briefes, er ſoll vor Tiſche fertig, weil er vor
7 auf die Poſt muß, und ſoll heute fort, damit du ihn, Lie-
ber, Guter, Geliebter, — eigentlich cher amant! — geſchwind
bekommſt. Ich kurire mich ſelbſt; und bin ſehr wider das
Kuriren, nicht wider Ärzte, noch ihre Wiſſenſchaft und Kunde.
Wie man aber gewöhnlich kurirt, iſt zu unſinnig, ja gefähr-
lich. Ein Arzt muß mich kennen, überſehen, oft ſehen, und
vom Gang meines Innren wiſſen. Böhm ſieht mich nie.
Meine eigne Elaſtik muß mir helfen, oder mich tödten. Die
Eſel können, habe ich erfahren, beides nicht. Meine Krank-
heit war rheumatiſcher Reiz, auf Drüſen und zerſtörte über-
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/586>, abgerufen am 22.12.2024.
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