Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

über alle Dinge, mit welchem leisen, nur nöthigen Verbot!
Wenn ich Sie sehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel-
cher Verlust, getrennt zu leben! Lassen Sie mich's auf dem
stummen Papier sagen! Andere Menschen können getrennt
leben, wir zwei nicht. Es ist zu wahr; ich sag' es dreist.

Gestern Abend, war eben so lange und allein, Harscher
bei mir. Wir sprachen meist von Ihnen; ich in lallenden
Versuchen, ob es anginge zu sagen, wie ich Sie sehe. Er
war ganz rein, wahr, sanft, aufrichtig. Sprach schön über
Sie; und sagte, er könne Sie so, wie ich Sie liebe, nicht
lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am meisten. Ich
vertheidigte mich nicht. Er gestand rührend, weil ich mehr
wäre als er (Harscher), könnt' ich Sie mehr lieben. Ich war
ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge-
stand mir, er sei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu stö-
ren; ich setzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge-
schehen wäre, wenn er ordentlich gewesen wäre, und was unter
diesem Ordentlich zu verstehen sei, er sah es ein, und gab mir
sanft Recht. Er habe wider mich gesprochen, sagte er mir
auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich
vertheidigt. "Besser," dacht' ich, und schwieg. Er fing mich
an sehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich
so gut sei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich
sprach ihm über sein Innerstes, traf es, und konnte ihm sehr
wohlthun: da eben ging seine Bewundrung los; und bei mei-
nem scharfen Sehen und Wissen; bei meiner Liebe. Über
Schl. sprach er sehr klar; und klagte über seine Stumm-
heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be-

über alle Dinge, mit welchem leiſen, nur nöthigen Verbot!
Wenn ich Sie ſehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel-
cher Verluſt, getrennt zu leben! Laſſen Sie mich’s auf dem
ſtummen Papier ſagen! Andere Menſchen können getrennt
leben, wir zwei nicht. Es iſt zu wahr; ich ſag’ es dreiſt.

Geſtern Abend, war eben ſo lange und allein, Harſcher
bei mir. Wir ſprachen meiſt von Ihnen; ich in lallenden
Verſuchen, ob es anginge zu ſagen, wie ich Sie ſehe. Er
war ganz rein, wahr, ſanft, aufrichtig. Sprach ſchön über
Sie; und ſagte, er könne Sie ſo, wie ich Sie liebe, nicht
lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am meiſten. Ich
vertheidigte mich nicht. Er geſtand rührend, weil ich mehr
wäre als er (Harſcher), könnt’ ich Sie mehr lieben. Ich war
ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge-
ſtand mir, er ſei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu ſtö-
ren; ich ſetzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge-
ſchehen wäre, wenn er ordentlich geweſen wäre, und was unter
dieſem Ordentlich zu verſtehen ſei, er ſah es ein, und gab mir
ſanft Recht. Er habe wider mich geſprochen, ſagte er mir
auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich
vertheidigt. „Beſſer,“ dacht’ ich, und ſchwieg. Er fing mich
an ſehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich
ſo gut ſei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich
ſprach ihm über ſein Innerſtes, traf es, und konnte ihm ſehr
wohlthun: da eben ging ſeine Bewundrung los; und bei mei-
nem ſcharfen Sehen und Wiſſen; bei meiner Liebe. Über
Schl. ſprach er ſehr klar; und klagte über ſeine Stumm-
heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0546" n="532"/>
über alle Dinge, mit welchem lei&#x017F;en, nur nöthigen Verbot!<lb/>
Wenn ich Sie &#x017F;ehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel-<lb/>
cher Verlu&#x017F;t, getrennt zu leben! La&#x017F;&#x017F;en Sie mich&#x2019;s auf dem<lb/>
&#x017F;tummen Papier &#x017F;agen! Andere Men&#x017F;chen können getrennt<lb/>
leben, wir zwei <hi rendition="#g">nicht</hi>. Es i&#x017F;t zu wahr; ich &#x017F;ag&#x2019; es drei&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Ge&#x017F;tern Abend, war eben &#x017F;o lange und allein, Har&#x017F;cher<lb/>
bei mir. Wir &#x017F;prachen mei&#x017F;t von Ihnen; ich in lallenden<lb/>
Ver&#x017F;uchen, ob es anginge zu &#x017F;agen, wie ich Sie &#x017F;ehe. Er<lb/>
war ganz rein, wahr, &#x017F;anft, aufrichtig. Sprach &#x017F;chön über<lb/>
Sie; und &#x017F;agte, er könne Sie <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi>, wie ich Sie liebe, nicht<lb/>
lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am mei&#x017F;ten. Ich<lb/>
vertheidigte mich nicht. Er ge&#x017F;tand rührend, weil ich mehr<lb/>
wäre als er (Har&#x017F;cher), könnt&#x2019; ich Sie mehr lieben. Ich war<lb/>
ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge-<lb/>
&#x017F;tand mir, er &#x017F;ei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu &#x017F;tö-<lb/>
ren; ich &#x017F;etzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge-<lb/>
&#x017F;chehen wäre, wenn er ordentlich gewe&#x017F;en wäre, und was unter<lb/>
die&#x017F;em Ordentlich zu ver&#x017F;tehen &#x017F;ei, er &#x017F;ah es ein, und gab mir<lb/>
&#x017F;anft Recht. Er habe wider mich ge&#x017F;prochen, &#x017F;agte er mir<lb/>
auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich<lb/>
vertheidigt. &#x201E;Be&#x017F;&#x017F;er,&#x201C; dacht&#x2019; ich, und &#x017F;chwieg. Er fing mich<lb/>
an &#x017F;ehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich<lb/>
&#x017F;o gut &#x017F;ei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich<lb/>
&#x017F;prach ihm über &#x017F;ein Inner&#x017F;tes, traf es, und konnte ihm &#x017F;ehr<lb/>
wohlthun: da eben ging &#x017F;eine Bewundrung los; und bei mei-<lb/>
nem &#x017F;charfen Sehen und Wi&#x017F;&#x017F;en; <hi rendition="#g">bei</hi> meiner Liebe. Über<lb/>
Schl. &#x017F;prach er &#x017F;ehr klar; und klagte über &#x017F;eine Stumm-<lb/>
heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[532/0546] über alle Dinge, mit welchem leiſen, nur nöthigen Verbot! Wenn ich Sie ſehe, bleibt Ihnen alles das unverlvren. Wel- cher Verluſt, getrennt zu leben! Laſſen Sie mich’s auf dem ſtummen Papier ſagen! Andere Menſchen können getrennt leben, wir zwei nicht. Es iſt zu wahr; ich ſag’ es dreiſt. Geſtern Abend, war eben ſo lange und allein, Harſcher bei mir. Wir ſprachen meiſt von Ihnen; ich in lallenden Verſuchen, ob es anginge zu ſagen, wie ich Sie ſehe. Er war ganz rein, wahr, ſanft, aufrichtig. Sprach ſchön über Sie; und ſagte, er könne Sie ſo, wie ich Sie liebe, nicht lieben. Schleiermacher und ich liebten Sie am meiſten. Ich vertheidigte mich nicht. Er geſtand rührend, weil ich mehr wäre als er (Harſcher), könnt’ ich Sie mehr lieben. Ich war ganz wahr gegen ihn, und nahm ihn für mich ein. Er ge- ſtand mir, er ſei nicht gekommen, um uns zwei nicht zu ſtö- ren; ich ſetzte ihm wahrhaft auseinander wie das nicht ge- ſchehen wäre, wenn er ordentlich geweſen wäre, und was unter dieſem Ordentlich zu verſtehen ſei, er ſah es ein, und gab mir ſanft Recht. Er habe wider mich geſprochen, ſagte er mir auch, und Sie hätten mich mit dem größten Feuer ritterlich vertheidigt. „Beſſer,“ dacht’ ich, und ſchwieg. Er fing mich an ſehr zu bewundern: und auch wieder zu zweiflen, ob ich ſo gut ſei, als ich mich zeigte. Aber nicht unangenehm. Ich ſprach ihm über ſein Innerſtes, traf es, und konnte ihm ſehr wohlthun: da eben ging ſeine Bewundrung los; und bei mei- nem ſcharfen Sehen und Wiſſen; bei meiner Liebe. Über Schl. ſprach er ſehr klar; und klagte über ſeine Stumm- heit; und klagte ihn an, mit mir nichts zu haben, und be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/546
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/546>, abgerufen am 22.12.2024.