halb fragend: "hier ist das Taubstummen-Instistut; wir sind hier friedlich, und uns thut niemand was; da wurd' ich einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entschuldigungsmä- ßig grüßen, aber er sah schüchtern auf sein Buch, und las weiter. So verschlang sich der Traum, ohne daß Sie gespro- chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Was- ser zurückkamen. Welches mir auch im Traum sehr lieb ist! So bin ich. Wollen Sie nun im Ernste auch nicht sprechen? Mir nicht antworten? Mir nicht sagen, daß und wann ich Sie in Töplitz sehen kann? Ich komme nun bestimmt hin, mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha- ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen richte ich mich sehr! -- Ich lege Ihnen hier einen herrlichen Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt. Ich antworte ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverstehen Sie nichts darin! Lesen Sie ihn, als wären Sie bei mir. Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver- lange es von Ihnen; meine höchste Äußerung von Achtung, Vertrauen und Voraussetzung des Talents; jemanden behand- len wie mich selbst. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt schon vor zehn Jahren sagte: "Ich will nicht mit lauter Verwunde- ten zu thun haben;" ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum- boldt nur vorgestern gesehen; er verfehlte mich öfters. Doch waren wir nicht allein. Es schimmerte alles nur durch Minna, die im Reuß'schen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,
halb fragend: „hier iſt das Taubſtummen-Inſtiſtut; wir ſind hier friedlich, und uns thut niemand was; da wurd’ ich einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entſchuldigungsmä- ßig grüßen, aber er ſah ſchüchtern auf ſein Buch, und las weiter. So verſchlang ſich der Traum, ohne daß Sie geſpro- chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Waſ- ſer zurückkamen. Welches mir auch im Traum ſehr lieb iſt! So bin ich. Wollen Sie nun im Ernſte auch nicht ſprechen? Mir nicht antworten? Mir nicht ſagen, daß und wann ich Sie in Töplitz ſehen kann? Ich komme nun beſtimmt hin, mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha- ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen richte ich mich ſehr! — Ich lege Ihnen hier einen herrlichen Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt. Ich antworte ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverſtehen Sie nichts darin! Leſen Sie ihn, als wären Sie bei mir. Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver- lange es von Ihnen; meine höchſte Äußerung von Achtung, Vertrauen und Vorausſetzung des Talents; jemanden behand- len wie mich ſelbſt. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt ſchon vor zehn Jahren ſagte: „Ich will nicht mit lauter Verwunde- ten zu thun haben;“ ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum- boldt nur vorgeſtern geſehen; er verfehlte mich öfters. Doch waren wir nicht allein. Es ſchimmerte alles nur durch Minna, die im Reuß’ſchen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0485"n="471"/>
halb fragend: „hier iſt das Taubſtummen-Inſtiſtut; wir ſind<lb/>
hier friedlich, und <hirendition="#g">uns</hi> thut <hirendition="#g">niemand</hi> was; da wurd’ ich<lb/>
einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche<lb/>
in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entſchuldigungsmä-<lb/>
ßig grüßen, aber er ſah ſchüchtern auf ſein Buch, und las<lb/>
weiter. So verſchlang ſich der Traum, ohne daß Sie geſpro-<lb/>
chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Waſ-<lb/>ſer zurückkamen. Welches mir auch im Traum ſehr lieb iſt!<lb/>
So bin ich. Wollen Sie nun im Ernſte auch nicht ſprechen?<lb/>
Mir nicht antworten? Mir nicht ſagen, <hirendition="#g">daß</hi> und <hirendition="#g">wann</hi> ich<lb/>
Sie in Töplitz ſehen kann? Ich komme nun beſtimmt hin,<lb/>
mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha-<lb/>
ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen<lb/>
richte ich mich ſehr! — Ich lege Ihnen hier einen herrlichen<lb/>
Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt.<lb/>
Ich antworte ihr in <hirendition="#g">Du</hi> aus angeregter Seele. Mißverſtehen<lb/>
Sie nichts darin! Leſen Sie ihn, als wären Sie bei mir.<lb/>
Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt<lb/>
von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende<lb/>
auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver-<lb/>
lange es von Ihnen; meine höchſte Äußerung von Achtung,<lb/>
Vertrauen und Vorausſetzung des Talents; jemanden behand-<lb/>
len wie mich ſelbſt. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt ſchon<lb/>
vor zehn Jahren ſagte: „Ich will nicht mit lauter Verwunde-<lb/>
ten zu thun haben;“ ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum-<lb/>
boldt nur vorgeſtern geſehen; er verfehlte mich öfters. Doch<lb/>
waren wir nicht allein. Es ſchimmerte alles nur durch Minna,<lb/>
die im Reuß’ſchen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[471/0485]
halb fragend: „hier iſt das Taubſtummen-Inſtiſtut; wir ſind
hier friedlich, und uns thut niemand was; da wurd’ ich
einen blondlichen dreizehnjährigen Knaben mit einem Buche
in der Hand gewahr; ich wollte ihn auch entſchuldigungsmä-
ßig grüßen, aber er ſah ſchüchtern auf ſein Buch, und las
weiter. So verſchlang ſich der Traum, ohne daß Sie geſpro-
chen hätten, und ohne daß wir gegen Morgen nach dem Waſ-
ſer zurückkamen. Welches mir auch im Traum ſehr lieb iſt!
So bin ich. Wollen Sie nun im Ernſte auch nicht ſprechen?
Mir nicht antworten? Mir nicht ſagen, daß und wann ich
Sie in Töplitz ſehen kann? Ich komme nun beſtimmt hin,
mein Bruder Moritz hat mich gefragt, wie viel ich dazu ha-
ben will. Antworten Sie mir gleich, Lieber! Nach Ihnen
richte ich mich ſehr! — Ich lege Ihnen hier einen herrlichen
Brief von meiner Freundin bei, den ich vorige Woche erhielt.
Ich antworte ihr in Du aus angeregter Seele. Mißverſtehen
Sie nichts darin! Leſen Sie ihn, als wären Sie bei mir.
Zeigen Sie ihn ja von ungefähr Gentz nicht: lang entfernt
von mir könnte er, wird er wohl, das unheilig Scheinende
auch nur unheilig finden. Ich verlange weit mehr: und ver-
lange es von Ihnen; meine höchſte Äußerung von Achtung,
Vertrauen und Vorausſetzung des Talents; jemanden behand-
len wie mich ſelbſt. Und nicht, wie Wilhelm Humboldt ſchon
vor zehn Jahren ſagte: „Ich will nicht mit lauter Verwunde-
ten zu thun haben;“ ich nicht mit Krüpplen! Ich habe Hum-
boldt nur vorgeſtern geſehen; er verfehlte mich öfters. Doch
waren wir nicht allein. Es ſchimmerte alles nur durch Minna,
die im Reuß’ſchen Garten gegenwärtig war, wo H. wohnt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/485>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.