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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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das Leben innerhalb der fünf Sinne; das nähere, täglich
emotionirende, blutumtreibende, wortausstoßende, und gestalt-
vollere lebendige Gedanken absetzende. Sie sollen kein Eremit
sein! ich habe keinen Sinn dafür! -- nur für Eremiten-Ge-
danken mitten unter Menschen; ja, unter den gewöhnlichsten:
denn ach! -- oder finden Sie das nicht? -- sie stellen so gut
die außerordentlichsten vor! Kurz, ich kenne mir nichts als
Menschen: und nur dann bekömmt Einsamkeit ihren Sinn! --
wenn man dann allein ist. Daß Sie Ihr Kind so lieben,
wer goutirt das mehr als ich! Aber, wenn es möglich ist,
lieben Sie's nicht mit Leidenschaft! -- Lieber, lieber Fouque
-- das heißt, mit Prätension. Ich habe kein Kind: aber dies
Verhältniß ist -- beinah daher -- mein einziges Studium:
niemals kann ein Kind leisten; leisten, was Eltern ihr Herz
ausfüllen könnte. An seiner Existenz, an seiner Entwickelung,
an seiner Natur können Sie sich freuen, seines Herzens höchste
Blüthe fällt in ein anderes Gehäge als in Ihres. Sagen Sie
sich das früh, bald! Wundern Sie sich nicht, mich die Kin-
derlose so sprechen zu hören, und in dem Eltern-Schmerz so
kundig zu sehen: viele Reiche des Schmerzes habe ich ergrün-
det, und ihre Gründe; getrieben von einem. Ich mußte Klar-
heit über alle Lebensverhältnisse haben; das Herz mußte sprin-
gen, oder erleuchtet werden! Mir thut Gewißheit, Gründe,
Klarheit gut. Es muß Ihnen auch so sein! Verstehen Sie
mich? So frage ich immrr, wenn ich weiß, daß ich undeut-
lich war.

Hanne, meine Hanne, hat mir Wunder und Zeichen von
Ihrem Kinde erzählt: Sie sind nicht allein so eingenommen

das Leben innerhalb der fünf Sinne; das nähere, täglich
emotionirende, blutumtreibende, wortausſtoßende, und geſtalt-
vollere lebendige Gedanken abſetzende. Sie ſollen kein Eremit
ſein! ich habe keinen Sinn dafür! — nur für Eremiten-Ge-
danken mitten unter Menſchen; ja, unter den gewöhnlichſten:
denn ach! — oder finden Sie das nicht? — ſie ſtellen ſo gut
die außerordentlichſten vor! Kurz, ich kenne mir nichts als
Menſchen: und nur dann bekömmt Einſamkeit ihren Sinn! —
wenn man dann allein iſt. Daß Sie Ihr Kind ſo lieben,
wer goutirt das mehr als ich! Aber, wenn es möglich iſt,
lieben Sie’s nicht mit Leidenſchaft! — Lieber, lieber Fouqué
— das heißt, mit Prätenſion. Ich habe kein Kind: aber dies
Verhältniß iſt — beinah daher — mein einziges Studium:
niemals kann ein Kind leiſten; leiſten, was Eltern ihr Herz
ausfüllen könnte. An ſeiner Exiſtenz, an ſeiner Entwickelung,
an ſeiner Natur können Sie ſich freuen, ſeines Herzens höchſte
Blüthe fällt in ein anderes Gehäge als in Ihres. Sagen Sie
ſich das früh, bald! Wundern Sie ſich nicht, mich die Kin-
derloſe ſo ſprechen zu hören, und in dem Eltern-Schmerz ſo
kundig zu ſehen: viele Reiche des Schmerzes habe ich ergrün-
det, und ihre Gründe; getrieben von einem. Ich mußte Klar-
heit über alle Lebensverhältniſſe haben; das Herz mußte ſprin-
gen, oder erleuchtet werden! Mir thut Gewißheit, Gründe,
Klarheit gut. Es muß Ihnen auch ſo ſein! Verſtehen Sie
mich? So frage ich immrr, wenn ich weiß, daß ich undeut-
lich war.

Hanne, meine Hanne, hat mir Wunder und Zeichen von
Ihrem Kinde erzählt: Sie ſind nicht allein ſo eingenommen

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[440/0454] das Leben innerhalb der fünf Sinne; das nähere, täglich emotionirende, blutumtreibende, wortausſtoßende, und geſtalt- vollere lebendige Gedanken abſetzende. Sie ſollen kein Eremit ſein! ich habe keinen Sinn dafür! — nur für Eremiten-Ge- danken mitten unter Menſchen; ja, unter den gewöhnlichſten: denn ach! — oder finden Sie das nicht? — ſie ſtellen ſo gut die außerordentlichſten vor! Kurz, ich kenne mir nichts als Menſchen: und nur dann bekömmt Einſamkeit ihren Sinn! — wenn man dann allein iſt. Daß Sie Ihr Kind ſo lieben, wer goutirt das mehr als ich! Aber, wenn es möglich iſt, lieben Sie’s nicht mit Leidenſchaft! — Lieber, lieber Fouqué — das heißt, mit Prätenſion. Ich habe kein Kind: aber dies Verhältniß iſt — beinah daher — mein einziges Studium: niemals kann ein Kind leiſten; leiſten, was Eltern ihr Herz ausfüllen könnte. An ſeiner Exiſtenz, an ſeiner Entwickelung, an ſeiner Natur können Sie ſich freuen, ſeines Herzens höchſte Blüthe fällt in ein anderes Gehäge als in Ihres. Sagen Sie ſich das früh, bald! Wundern Sie ſich nicht, mich die Kin- derloſe ſo ſprechen zu hören, und in dem Eltern-Schmerz ſo kundig zu ſehen: viele Reiche des Schmerzes habe ich ergrün- det, und ihre Gründe; getrieben von einem. Ich mußte Klar- heit über alle Lebensverhältniſſe haben; das Herz mußte ſprin- gen, oder erleuchtet werden! Mir thut Gewißheit, Gründe, Klarheit gut. Es muß Ihnen auch ſo ſein! Verſtehen Sie mich? So frage ich immrr, wenn ich weiß, daß ich undeut- lich war. Hanne, meine Hanne, hat mir Wunder und Zeichen von Ihrem Kinde erzählt: Sie ſind nicht allein ſo eingenommen

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/454>, abgerufen am 24.11.2024.