-- Ich habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich, so kommt's von meinem innern Reichthum; und daß ich nie Unwürdiges wählte, und also frei bin. Bis jetzt nun habe ich unter den Ausspizien, im strengsten Verstande, unter den Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß, von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntschaft, kann ich von seinem Einfluß herleiten: dieser ist über meinem Haupte zersprengt: ich fühle es besonders schwer! Sein eigener Geist -- und grade weil er meinem so unähnlich ist, will ich ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiste Elend weiter spinnen -- befiehlt schnell eine kühne Wahl; auch er hätte sich schnell entschlossen, ich folge seinem Winke! --
An Varnhagen, in Tübingen.
Dienstag, den 3. Januar 1809.
-- Armer! Möchte ich zu dir sagen, der nichts in seiner Seele festhalten kann! wie du es selbst beschreibst. Aber viel- leicht verlangst du zu viel von dir: und es ist mit allen Men- schen so! Ich für mich weiß nichts mehr zu sagen. Wenn du mich liebst, wird es sich finden: ich kann nicht mehr ringen. Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von je. Frag dich selbst, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich, und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht sinkt. Ich umarme dich. -- Die Konskription kommt hier gar
An Varnhagen, in Tübingen.
Mittwoch, den 28. December 1808.
— Ich habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich, ſo kommt’s von meinem innern Reichthum; und daß ich nie Unwürdiges wählte, und alſo frei bin. Bis jetzt nun habe ich unter den Ausſpizien, im ſtrengſten Verſtande, unter den Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß, von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntſchaft, kann ich von ſeinem Einfluß herleiten: dieſer iſt über meinem Haupte zerſprengt: ich fühle es beſonders ſchwer! Sein eigener Geiſt — und grade weil er meinem ſo unähnlich iſt, will ich ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiſte Elend weiter ſpinnen — befiehlt ſchnell eine kühne Wahl; auch er hätte ſich ſchnell entſchloſſen, ich folge ſeinem Winke! —
An Varnhagen, in Tübingen.
Dienstag, den 3. Januar 1809.
— Armer! Möchte ich zu dir ſagen, der nichts in ſeiner Seele feſthalten kann! wie du es ſelbſt beſchreibſt. Aber viel- leicht verlangſt du zu viel von dir: und es iſt mit allen Men- ſchen ſo! Ich für mich weiß nichts mehr zu ſagen. Wenn du mich liebſt, wird es ſich finden: ich kann nicht mehr ringen. Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von je. Frag dich ſelbſt, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich, und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht ſinkt. Ich umarme dich. — Die Konſkription kommt hier gar
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0404"n="390"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Tübingen.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Mittwoch, den 28. December 1808.</hi></dateline><lb/><p>—<hirendition="#g">Ich</hi> habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich,<lb/>ſo kommt’s von meinem innern Reichthum; und daß ich nie<lb/>
Unwürdiges wählte, und alſo frei bin. Bis jetzt nun habe<lb/>
ich unter den Ausſpizien, im ſtrengſten Verſtande, unter den<lb/>
Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß,<lb/>
von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntſchaft,<lb/>
kann ich von ſeinem Einfluß herleiten: dieſer iſt über meinem<lb/>
Haupte zerſprengt: ich fühle es beſonders ſchwer! Sein eigener<lb/>
Geiſt — und grade weil er meinem ſo unähnlich iſt, will ich<lb/>
ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiſte Elend<lb/>
weiter ſpinnen — befiehlt ſchnell eine kühne Wahl; auch er<lb/>
hätte ſich ſchnell entſchloſſen, ich folge ſeinem Winke! —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Varnhagen, in Tübingen.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Dienstag, den 3. Januar 1809.</hi></dateline><lb/><p>— Armer! Möchte ich zu dir ſagen, der nichts in ſeiner<lb/>
Seele feſthalten kann! wie du es ſelbſt beſchreibſt. Aber viel-<lb/>
leicht verlangſt du zu viel von dir: und es iſt mit allen Men-<lb/>ſchen ſo! Ich für mich weiß nichts mehr zu ſagen. Wenn<lb/>
du mich liebſt, wird es ſich finden: ich kann nicht mehr ringen.<lb/>
Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von<lb/><hirendition="#g">je</hi>. Frag dich ſelbſt, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich,<lb/>
und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht<lb/>ſinkt. Ich umarme dich. — Die Konſkription kommt hier gar<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[390/0404]
An Varnhagen, in Tübingen.
Mittwoch, den 28. December 1808.
— Ich habe in keinem Ereigniß Glück. Bin ich glücklich,
ſo kommt’s von meinem innern Reichthum; und daß ich nie
Unwürdiges wählte, und alſo frei bin. Bis jetzt nun habe
ich unter den Ausſpizien, im ſtrengſten Verſtande, unter den
Flügeln von Friedrich dem Zweiten gelebt. Jeden Genuß,
von außen her, jedes Gut, jeden Vortheil, jede Bekanntſchaft,
kann ich von ſeinem Einfluß herleiten: dieſer iſt über meinem
Haupte zerſprengt: ich fühle es beſonders ſchwer! Sein eigener
Geiſt — und grade weil er meinem ſo unähnlich iſt, will ich
ihm blind gehorchen, und nicht aus meinem Geiſte Elend
weiter ſpinnen — befiehlt ſchnell eine kühne Wahl; auch er
hätte ſich ſchnell entſchloſſen, ich folge ſeinem Winke! —
An Varnhagen, in Tübingen.
Dienstag, den 3. Januar 1809.
— Armer! Möchte ich zu dir ſagen, der nichts in ſeiner
Seele feſthalten kann! wie du es ſelbſt beſchreibſt. Aber viel-
leicht verlangſt du zu viel von dir: und es iſt mit allen Men-
ſchen ſo! Ich für mich weiß nichts mehr zu ſagen. Wenn
du mich liebſt, wird es ſich finden: ich kann nicht mehr ringen.
Mit und um nichts: und ein errungen Glück ekelte mich von
je. Frag dich ſelbſt, ob ich dich genug liebe; ob ich ehrlich,
und brauchbar zum Umgang bin. Und lebe wohl! die Nacht
ſinkt. Ich umarme dich. — Die Konſkription kommt hier gar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 390. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/404>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.