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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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vor Gottes Thron schwören, daß ich nie für Ohr, Auge, Geist
oder Herz, auch nur das mäßigste Angenehme gewahre. Dies
ist mein niedertrachtvolles Leben! nun ist es reif. Die Karak-
tere, das nothwendig erfolgende immer ärgere Spiel derselben,
mag dir entfallen sein, und entfällt einem vor dem Thore schon
immer......

Über deinen Brief habe ich gelacht, und das ist mir noch
lieb, und ein Trost. Ich muß den Sommer von Berlin. Ich
habe es vorigen Sommer mit einem lauten heiligen Fluch in
den Himmel hinein geschworen, und breche den Fluch nicht.
An sich selbst muß man glauben können. Du kennst unsere
selbstgezeugten Vorurtheile. Robert reist in weniger Zeit mit
dem Baron Drieberg nach Wien, und will zum Frühjahr wie-
der hier sein. Ich habe keine Idee wie ich fortkomme, aber
ich muß fort; aber wie ich hier bleiben könnte, das weiß ich
auch nicht. Ohne Quartier in noch aus der Stadt. Ohne
Geld mir irgend ein agrement schaffen zu können, ohne Be-
kannte zu irgend einer Promenade, weder die Gute, noch Nette,
noch die Schwägerin wirst du mir doch zu rechnen erlauben.
Mlle. Bauer reist auch weg, die sitzt jetzt bei mir und näht
das Weihnachtsgeschenk, was Hanne ihrer Mutter macht, eine
kleine Tischdecke, fertig. "Der jüngste Bruder hätte weg-
bleiben können?" eben wollte ich sagen, ich hätte beim Aus-
ziehen aus dem Bauche, einen Schaden anrichten sollen, aber
da fielst du mir ein. Meine tiefste Kränkung ist, daß wenig
Menschen so viel Talent zu leben haben als ich, und zum
lachen, und daß ich und das schöne Geschenk in Schmerz un-
tergehen müssen. Ich könnte mich göttlich amüsiren. Daran

vor Gottes Thron ſchwören, daß ich nie für Ohr, Auge, Geiſt
oder Herz, auch nur das mäßigſte Angenehme gewahre. Dies
iſt mein niedertrachtvolles Leben! nun iſt es reif. Die Karak-
tere, das nothwendig erfolgende immer ärgere Spiel derſelben,
mag dir entfallen ſein, und entfällt einem vor dem Thore ſchon
immer......

Über deinen Brief habe ich gelacht, und das iſt mir noch
lieb, und ein Troſt. Ich muß den Sommer von Berlin. Ich
habe es vorigen Sommer mit einem lauten heiligen Fluch in
den Himmel hinein geſchworen, und breche den Fluch nicht.
An ſich ſelbſt muß man glauben können. Du kennſt unſere
ſelbſtgezeugten Vorurtheile. Robert reiſt in weniger Zeit mit
dem Baron Drieberg nach Wien, und will zum Frühjahr wie-
der hier ſein. Ich habe keine Idee wie ich fortkomme, aber
ich muß fort; aber wie ich hier bleiben könnte, das weiß ich
auch nicht. Ohne Quartier in noch aus der Stadt. Ohne
Geld mir irgend ein agrément ſchaffen zu können, ohne Be-
kannte zu irgend einer Promenade, weder die Gute, noch Nette,
noch die Schwägerin wirſt du mir doch zu rechnen erlauben.
Mlle. Bauer reiſt auch weg, die ſitzt jetzt bei mir und näht
das Weihnachtsgeſchenk, was Hanne ihrer Mutter macht, eine
kleine Tiſchdecke, fertig. „Der jüngſte Bruder hätte weg-
bleiben können?“ eben wollte ich ſagen, ich hätte beim Aus-
ziehen aus dem Bauche, einen Schaden anrichten ſollen, aber
da fielſt du mir ein. Meine tiefſte Kränkung iſt, daß wenig
Menſchen ſo viel Talent zu leben haben als ich, und zum
lachen, und daß ich und das ſchöne Geſchenk in Schmerz un-
tergehen müſſen. Ich könnte mich göttlich amüſiren. Daran

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[388/0402] vor Gottes Thron ſchwören, daß ich nie für Ohr, Auge, Geiſt oder Herz, auch nur das mäßigſte Angenehme gewahre. Dies iſt mein niedertrachtvolles Leben! nun iſt es reif. Die Karak- tere, das nothwendig erfolgende immer ärgere Spiel derſelben, mag dir entfallen ſein, und entfällt einem vor dem Thore ſchon immer...... Über deinen Brief habe ich gelacht, und das iſt mir noch lieb, und ein Troſt. Ich muß den Sommer von Berlin. Ich habe es vorigen Sommer mit einem lauten heiligen Fluch in den Himmel hinein geſchworen, und breche den Fluch nicht. An ſich ſelbſt muß man glauben können. Du kennſt unſere ſelbſtgezeugten Vorurtheile. Robert reiſt in weniger Zeit mit dem Baron Drieberg nach Wien, und will zum Frühjahr wie- der hier ſein. Ich habe keine Idee wie ich fortkomme, aber ich muß fort; aber wie ich hier bleiben könnte, das weiß ich auch nicht. Ohne Quartier in noch aus der Stadt. Ohne Geld mir irgend ein agrément ſchaffen zu können, ohne Be- kannte zu irgend einer Promenade, weder die Gute, noch Nette, noch die Schwägerin wirſt du mir doch zu rechnen erlauben. Mlle. Bauer reiſt auch weg, die ſitzt jetzt bei mir und näht das Weihnachtsgeſchenk, was Hanne ihrer Mutter macht, eine kleine Tiſchdecke, fertig. „Der jüngſte Bruder hätte weg- bleiben können?“ eben wollte ich ſagen, ich hätte beim Aus- ziehen aus dem Bauche, einen Schaden anrichten ſollen, aber da fielſt du mir ein. Meine tiefſte Kränkung iſt, daß wenig Menſchen ſo viel Talent zu leben haben als ich, und zum lachen, und daß ich und das ſchöne Geſchenk in Schmerz un- tergehen müſſen. Ich könnte mich göttlich amüſiren. Daran

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/402>, abgerufen am 28.11.2024.