ten, die ich dir geschrieben habe, anlesen, wie ich lebe; da du mich aber fragst, so sei es dir gesagt. Übernatürlich schlecht. Mama weiß ich in einem düstern, ruppigen, unbequemen chez- elle; ohne Gesellschaft, ohne Genuß, ganz das bischen Glanz und Zusammenhang und Wohlhabenheit weg; und mit Ver- druß genug! im erbarmungswürdigsten Geiz, fast allein existi- rend, also die ist mir für die Einsamkeit, in welcher ich lebe, und so ungerecht, und so zwecklos, und mit so vielem Verdruß, und mit so vieler Kränkung, bin hineingestoßen worden, kein Ersatz. Im bittersten Gegentheil, eine heimlich drückende Sorge, eine immer sich erneuernde Kränkung mehr. Ich muß mir einen Bedienten halten, und tausend Kleinigkeiten; und lebe theuer und schlecht, und bin dabei in meinem alten Neste, und kein neuer Gegenstand erquickt mir die Sinne; dabei bin ich viel krank diesen Winter, und immer wenigstens kränklich, viel allein, oder mit abgetragenen, eben so unglücklich geistlo- sen armen Bekannten. Niemals in Gesellschaft, niemals im Theater, nie zu Wagen; Talglichte; und Branntwein anstatt eau de Cologne. Bis Ostern habe ich nur mein Quartier, wel- ches bequem für meine Vermögensumstände ist (zwar habe ich es nicht zurecht machen lassen; und die Möbel die du mir kennst), aber zu hoch für mich zu steigen, und um ein Bad zu nehmen; das Haus mir verhaßt; wegen Lärm, und alles. Die Jägerstraße und jede ordentliche Familien-Einrichtung ist mir nicht nur ein Stich, sondern Hiebe in's Herz. Also bis Ostern kann ich nur in Berlin bleiben, dann will ich nach Wien: und erlaubt es der Krieg nicht, nach Paris. Allein bin ich allenthalben, und reicher hier auch nicht. Ich kann
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ten, die ich dir geſchrieben habe, anleſen, wie ich lebe; da du mich aber fragſt, ſo ſei es dir geſagt. Übernatürlich ſchlecht. Mama weiß ich in einem düſtern, ruppigen, unbequemen chez- elle; ohne Geſellſchaft, ohne Genuß, ganz das bischen Glanz und Zuſammenhang und Wohlhabenheit weg; und mit Ver- druß genug! im erbarmungswürdigſten Geiz, faſt allein exiſti- rend, alſo die iſt mir für die Einſamkeit, in welcher ich lebe, und ſo ungerecht, und ſo zwecklos, und mit ſo vielem Verdruß, und mit ſo vieler Kränkung, bin hineingeſtoßen worden, kein Erſatz. Im bitterſten Gegentheil, eine heimlich drückende Sorge, eine immer ſich erneuernde Kränkung mehr. Ich muß mir einen Bedienten halten, und tauſend Kleinigkeiten; und lebe theuer und ſchlecht, und bin dabei in meinem alten Neſte, und kein neuer Gegenſtand erquickt mir die Sinne; dabei bin ich viel krank dieſen Winter, und immer wenigſtens kränklich, viel allein, oder mit abgetragenen, eben ſo unglücklich geiſtlo- ſen armen Bekannten. Niemals in Geſellſchaft, niemals im Theater, nie zu Wagen; Talglichte; und Branntwein anſtatt eau de Cologne. Bis Oſtern habe ich nur mein Quartier, wel- ches bequem für meine Vermögensumſtände iſt (zwar habe ich es nicht zurecht machen laſſen; und die Möbel die du mir kennſt), aber zu hoch für mich zu ſteigen, und um ein Bad zu nehmen; das Haus mir verhaßt; wegen Lärm, und alles. Die Jägerſtraße und jede ordentliche Familien-Einrichtung iſt mir nicht nur ein Stich, ſondern Hiebe in’s Herz. Alſo bis Oſtern kann ich nur in Berlin bleiben, dann will ich nach Wien: und erlaubt es der Krieg nicht, nach Paris. Allein bin ich allenthalben, und reicher hier auch nicht. Ich kann
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ten, die ich dir geſchrieben habe, anleſen, wie ich lebe; da du
mich aber fragſt, ſo ſei es dir geſagt. Übernatürlich ſchlecht.
Mama weiß ich in einem düſtern, ruppigen, unbequemen chez-
elle; ohne Geſellſchaft, ohne Genuß, ganz das bischen Glanz
und Zuſammenhang und Wohlhabenheit weg; und mit Ver-
druß genug! im erbarmungswürdigſten Geiz, faſt allein exiſti-
rend, alſo die iſt mir für die Einſamkeit, in welcher ich lebe,
und ſo ungerecht, und ſo zwecklos, und mit ſo vielem Verdruß,
und mit ſo vieler Kränkung, bin hineingeſtoßen worden, kein
Erſatz. Im bitterſten Gegentheil, eine heimlich drückende Sorge,
eine immer ſich erneuernde Kränkung mehr. Ich muß mir
einen Bedienten halten, und tauſend Kleinigkeiten; und lebe
theuer und ſchlecht, und bin dabei in meinem alten Neſte, und
kein neuer Gegenſtand erquickt mir die Sinne; dabei bin ich
viel krank dieſen Winter, und immer wenigſtens kränklich,
viel allein, oder mit abgetragenen, eben ſo unglücklich geiſtlo-
ſen armen Bekannten. Niemals in Geſellſchaft, niemals im
Theater, nie zu Wagen; Talglichte; und Branntwein anſtatt
eau de Cologne. Bis Oſtern habe ich nur mein Quartier, wel-
ches bequem für meine Vermögensumſtände iſt (zwar habe
ich es nicht zurecht machen laſſen; und die Möbel die du mir
kennſt), aber zu hoch für mich zu ſteigen, und um ein Bad
zu nehmen; das Haus mir verhaßt; wegen Lärm, und alles.
Die Jägerſtraße und jede ordentliche Familien-Einrichtung
iſt mir nicht nur ein Stich, ſondern Hiebe in’s Herz. Alſo
bis Oſtern kann ich nur in Berlin bleiben, dann will ich nach
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/401>, abgerufen am 29.11.2024.
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