Es ist 9 Uhr Morgens; ich bin gewaschen, angezogen, habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen bestimmten Ort gebracht; kurz, bin wie ein Wohnender -- ich schreibe nicht wie zu Hause, denn da war's nicht gut --; ich schlief schlecht, weil ich diese Nacht noch auf Betten ruhen sollte, auf solchem trock- nen Wasser aber nicht schlafen kann, für's erste noch im Kom- toir gebettet war, weil mein Zimmer -- man erwartete uns noch nicht -- gescheuert war. -- Auch kennen Sie das sehr gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends kamen wir gestern an. Nach einer halben Stunde kam mein Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht plump vor lauter Plattheit ist, sehr amüsant: wie kann Kotze- bue bei so vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce- nenfolge, und Effekt, so wenig feines Urtheil, genannt Ge- schmack, haben! Gespielt wurde es meisterhaft! Hier muß man la comedie allemande sehen; -- wir verstehen unter Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans etc. -- Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß [Brede], sagten affektirte Verse göttlich! Noch zwei Frauen spielten sehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De- tails. Wie bilden sich unsre Gendarmenmärktler etwas ein! -- und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie so wenig spie- len sie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältnissen
An Frau von F., in Berlin.
Leipzig, Sonnabend den 24. September 1808.
Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen, habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht; kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe nicht wie zu Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, auf ſolchem trock- nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom- toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze- bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce- nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge- ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier muß man la comédie allemande ſehen; — wir verſtehen unter Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc. — Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß [Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De- tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! — und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie- len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0364"n="350"/><divn="2"><head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Leipzig, Sonnabend den 24. September 1808.</hi></dateline><lb/><p>Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen,<lb/>
habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht;<lb/>
kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe <hirendition="#g">nicht</hi> wie zu<lb/>
Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil<lb/>
ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice>ſolchem trock-<lb/>
nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom-<lb/>
toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns<lb/>
noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr<lb/>
gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends<lb/>
kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein<lb/>
Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man<lb/>
gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht<lb/>
plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze-<lb/>
bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce-<lb/>
nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge-<lb/>ſchmack, haben! Geſpielt wurde es <hirendition="#g">meiſterhaft</hi>! Hier<lb/>
muß man <hirendition="#aq">la comédie allemande</hi>ſehen; — wir verſtehen unter<lb/>
Komödien <hirendition="#g">alles</hi>; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc.<lb/>— Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß<lb/>
[Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch <hirendition="#g">zwei</hi> Frauen<lb/>ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De-<lb/>
tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! —<lb/>
und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger<lb/>
Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie-<lb/>
len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[350/0364]
An Frau von F., in Berlin.
Leipzig, Sonnabend den 24. September 1808.
Es iſt 9 Uhr Morgens; ich bin gewaſchen, angezogen,
habe alles, jede Kleinigkeit, auf einen beſtimmten Ort gebracht;
kurz, bin wie ein Wohnender — ich ſchreibe nicht wie zu
Hauſe, denn da war’s nicht gut —; ich ſchlief ſchlecht, weil
ich dieſe Nacht noch auf Betten ruhen ſollte, auf ſolchem trock-
nen Waſſer aber nicht ſchlafen kann, für’s erſte noch im Kom-
toir gebettet war, weil mein Zimmer — man erwartete uns
noch nicht — geſcheuert war. — Auch kennen Sie das ſehr
gut: ich mußte mir noch alles ausdenken. Um halb 5 Abends
kamen wir geſtern an. Nach einer halben Stunde kam mein
Bruder. Ich zog mich an, wir gingen in die Komödie; man
gab das Intermezzo. Die Erfindung witzig; und wo es nicht
plump vor lauter Plattheit iſt, ſehr amüſant: wie kann Kotze-
bue bei ſo vielen Einfällen und glücklichem Ordnen in Sce-
nenfolge, und Effekt, ſo wenig feines Urtheil, genannt Ge-
ſchmack, haben! Geſpielt wurde es meiſterhaft! Hier
muß man la comédie allemande ſehen; — wir verſtehen unter
Komödien alles; Zauberflöte, das Mädchen von Orleans ꝛc.
— Opitz und eine Frau, deren Namen ich noch nicht weiß
[Brede], ſagten affektirte Verſe göttlich! Noch zwei Frauen
ſpielten ſehr gut, Künftig, wenn ich die Namen weiß, De-
tails. Wie bilden ſich unſre Gendarmenmärktler etwas ein! —
und bleiben doch nur wie ihr verderblicher Anführer in ewiger
Verlegenheit, im Suchen nach Laune: und wie ſo wenig ſpie-
len ſie in Fresko; und in welchen glücklichen Verhältniſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/364>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.