Ich habe viel in und mit der Zeit gelitten; bin aber jetzt ganz gesund und in der Seele frisch: und stehe in nichts stille. Und so wächst die Liebe zu Ihnen mit. Wir haben zwei Freunde verloren! Pauline ist nach der Schweiz endlich. Sie war stark; aber sie verplumpte sich: obgleich sie für mich doch Reiz behielt. Sie und mich liebt sie am meisten.
Diesen Brief nimmt ein Freund, ein lieber Mensch, ein ganz junger, mit nach Dresden, und sucht ihn dort jemanden mitzugeben. So schreiben Sie mir wieder; und schreiben Sie mir, ob Sie verliebt sind. Mir geht's wie immer, also habe ich Ihnen nichts zu sagen über mich. -- Hier kenne ich fast niemanden. Athen kann nicht ausgestorbener, und mir fremdartiger sein. Der Freund, der von mir reist, war mein einziger, und mehr! Er geht nach Tübingen; er ist Arzt. Nichts wirft mich mehr ganz um, als Krankheit: und Ge- fängniß. Sonst -- kenne ich die Welt. Heute bin ich der Reise wegen zerstreut, so sollt' ich Ihnen nicht geschrieben haben. Die Trennung von meinem Freund etonnirt mich, die Öde, der Schmerz kommt nach; auch fühlt' ich ihn voraus, nur jetzt nicht. Übermorgen früh reist er. Ich wollte so die breite Stadt nicht ertragen! -- Ich schrieb in einem fremden Haus, wo noch Zwei an meinem Tische schrieben: das beden- ken Sie! Nur daß ich eben so ächt, eben so gut bin als sonst, und Sie ewig mein Gentz bleiben, sollten Sie Undank- barer, Zerstreuter, wissen. Wissen Sie's auch! Haben Sie hübsche Kleider? ziemliches Geld? --
Ich habe viel in und mit der Zeit gelitten; bin aber jetzt ganz geſund und in der Seele friſch: und ſtehe in nichts ſtille. Und ſo wächſt die Liebe zu Ihnen mit. Wir haben zwei Freunde verloren! Pauline iſt nach der Schweiz endlich. Sie war ſtark; aber ſie verplumpte ſich: obgleich ſie für mich doch Reiz behielt. Sie und mich liebt ſie am meiſten.
Dieſen Brief nimmt ein Freund, ein lieber Menſch, ein ganz junger, mit nach Dresden, und ſucht ihn dort jemanden mitzugeben. So ſchreiben Sie mir wieder; und ſchreiben Sie mir, ob Sie verliebt ſind. Mir geht’s wie immer, alſo habe ich Ihnen nichts zu ſagen über mich. — Hier kenne ich faſt niemanden. Athen kann nicht ausgeſtorbener, und mir fremdartiger ſein. Der Freund, der von mir reiſt, war mein einziger, und mehr! Er geht nach Tübingen; er iſt Arzt. Nichts wirft mich mehr ganz um, als Krankheit: und Ge- fängniß. Sonſt — kenne ich die Welt. Heute bin ich der Reiſe wegen zerſtreut, ſo ſollt’ ich Ihnen nicht geſchrieben haben. Die Trennung von meinem Freund etonnirt mich, die Öde, der Schmerz kommt nach; auch fühlt’ ich ihn voraus, nur jetzt nicht. Übermorgen früh reiſt er. Ich wollte ſo die breite Stadt nicht ertragen! — Ich ſchrieb in einem fremden Haus, wo noch Zwei an meinem Tiſche ſchrieben: das beden- ken Sie! Nur daß ich eben ſo ächt, eben ſo gut bin als ſonſt, und Sie ewig mein Gentz bleiben, ſollten Sie Undank- barer, Zerſtreuter, wiſſen. Wiſſen Sie’s auch! Haben Sie hübſche Kleider? ziemliches Geld? —
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Ich habe viel in und mit der Zeit gelitten; bin aber jetzt
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Und ſo wächſt die Liebe zu Ihnen mit. Wir haben zwei
Freunde verloren! Pauline iſt nach der Schweiz endlich. Sie
war ſtark; aber ſie verplumpte ſich: obgleich ſie für mich doch
Reiz behielt. Sie und mich liebt ſie am meiſten.
Dieſen Brief nimmt ein Freund, ein lieber Menſch, ein
ganz junger, mit nach Dresden, und ſucht ihn dort jemanden
mitzugeben. So ſchreiben Sie mir wieder; und ſchreiben
Sie mir, ob Sie verliebt ſind. Mir geht’s wie immer, alſo
habe ich Ihnen nichts zu ſagen über mich. — Hier kenne ich
faſt niemanden. Athen kann nicht ausgeſtorbener, und mir
fremdartiger ſein. Der Freund, der von mir reiſt, war mein
einziger, und mehr! Er geht nach Tübingen; er iſt Arzt.
Nichts wirft mich mehr ganz um, als Krankheit: und Ge-
fängniß. Sonſt — kenne ich die Welt. Heute bin ich der
Reiſe wegen zerſtreut, ſo ſollt’ ich Ihnen nicht geſchrieben
haben. Die Trennung von meinem Freund etonnirt mich, die
Öde, der Schmerz kommt nach; auch fühlt’ ich ihn voraus,
nur jetzt nicht. Übermorgen früh reiſt er. Ich wollte ſo die
breite Stadt nicht ertragen! — Ich ſchrieb in einem fremden
Haus, wo noch Zwei an meinem Tiſche ſchrieben: das beden-
ken Sie! Nur daß ich eben ſo ächt, eben ſo gut bin als
ſonſt, und Sie ewig mein Gentz bleiben, ſollten Sie Undank-
barer, Zerſtreuter, wiſſen. Wiſſen Sie’s auch! Haben Sie
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/358>, abgerufen am 25.11.2024.
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