Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

des Tages ganz beschäftigt -- die ihre kleinen Lügen selbst
immer propagandiren --, von Äußerlichkeiten so eingenom-
men, daß sie auf der Menschen Wesen, Stimme, Ton, Blick,
Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder schief:
und besonders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für
wahre Klugheit, die sie Andern sehr selten zutrauen; be-
sonders Phantasten nicht, wie sie innigere Menschen nennen.
Dies ist sehr wahr. --

Mit M. hatte ich ein merkwürdig Gespräch über seine
gewesene Liebe! Und von D. erzähl' ich Ihnen auch. Wol-
len wir sie nach den Inseln schicken?? Gäb' es Strafe, gäb'
es Recht, so würde Europa zur wüsten Insel! --




-- Mein eigenes Sprechen erregte mich -- wie immer --
und die Möglichkeit es zu können, ist, war und bleibt mir
lieb. Wenn ich aber so viel spreche, so ist es gewöhnlich
um Ennui und Verlegenheit mit Gewalt los zu werden:
diese zwei hasse ich; und sie sind mir wie eine Daumenschraube
auch für den kleinsten Augenblick unleidlich. Sonst lieb'
ich Schweigen und Zuhören: und in einer schönen Gesellschaft
wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie-
derum auch die Andern. Gewöhnlich ist Plappern bei mir
Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech' ich
über Liebe und dergleichen, so kann ich nur scherzen, und ver-
kehrt sprechen. Über Musik aber spreche ich nie als im Ernste;
weil man da nicht allein rechtschaffen sein, sondern auch den-

des Tages ganz beſchäftigt — die ihre kleinen Lügen ſelbſt
immer propagandiren —, von Äußerlichkeiten ſo eingenom-
men, daß ſie auf der Menſchen Weſen, Stimme, Ton, Blick,
Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder ſchief:
und beſonders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für
wahre Klugheit, die ſie Andern ſehr ſelten zutrauen; be-
ſonders Phantaſten nicht, wie ſie innigere Menſchen nennen.
Dies iſt ſehr wahr. —

Mit M. hatte ich ein merkwürdig Geſpräch über ſeine
geweſene Liebe! Und von D. erzähl’ ich Ihnen auch. Wol-
len wir ſie nach den Inſeln ſchicken?? Gäb’ es Strafe, gäb’
es Recht, ſo würde Europa zur wüſten Inſel! —




— Mein eigenes Sprechen erregte mich — wie immer —
und die Möglichkeit es zu können, iſt, war und bleibt mir
lieb. Wenn ich aber ſo viel ſpreche, ſo iſt es gewöhnlich
um Ennui und Verlegenheit mit Gewalt los zu werden:
dieſe zwei haſſe ich; und ſie ſind mir wie eine Daumenſchraube
auch für den kleinſten Augenblick unleidlich. Sonſt lieb’
ich Schweigen und Zuhören: und in einer ſchönen Geſellſchaft
wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie-
derum auch die Andern. Gewöhnlich iſt Plappern bei mir
Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech’ ich
über Liebe und dergleichen, ſo kann ich nur ſcherzen, und ver-
kehrt ſprechen. Über Muſik aber ſpreche ich nie als im Ernſte;
weil man da nicht allein rechtſchaffen ſein, ſondern auch den-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0322" n="308"/>
des Tages ganz be&#x017F;chäftigt &#x2014; die ihre kleinen Lügen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
immer propagandiren &#x2014;, von Äußerlichkeiten &#x017F;o eingenom-<lb/>
men, daß &#x017F;ie auf der Men&#x017F;chen We&#x017F;en, Stimme, Ton, Blick,<lb/>
Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder &#x017F;chief:<lb/>
und be&#x017F;onders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für<lb/><hi rendition="#g">wahre Klugheit</hi>, die &#x017F;ie Andern &#x017F;ehr &#x017F;elten zutrauen; be-<lb/>
&#x017F;onders Phanta&#x017F;ten nicht, wie &#x017F;ie innigere Men&#x017F;chen nennen.<lb/>
Dies i&#x017F;t &#x017F;ehr wahr. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Mit M. hatte ich ein merkwürdig Ge&#x017F;präch über &#x017F;eine<lb/>
gewe&#x017F;ene Liebe! Und von D. erzähl&#x2019; ich Ihnen auch. Wol-<lb/>
len wir &#x017F;ie nach den In&#x017F;eln &#x017F;chicken?? Gäb&#x2019; es Strafe, gäb&#x2019;<lb/>
es Recht, &#x017F;o würde <hi rendition="#g">Europa</hi> zur wü&#x017F;ten In&#x017F;el! &#x2014;</p>
          </div><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <div n="3">
            <dateline> <hi rendition="#et">Mittwoch, den 30. December 1806.</hi> </dateline><lb/>
            <p>&#x2014; Mein eigenes Sprechen erregte mich &#x2014; wie immer &#x2014;<lb/>
und die Möglichkeit es zu können, i&#x017F;t, war und bleibt mir<lb/>
lieb. <hi rendition="#g">Wenn</hi> ich aber &#x017F;o viel &#x017F;preche, &#x017F;o i&#x017F;t es <hi rendition="#g">gewöhnlich</hi><lb/>
um Ennui und Verlegenheit mit <hi rendition="#g">Gewalt</hi> los zu werden:<lb/>
die&#x017F;e zwei ha&#x017F;&#x017F;e ich; und &#x017F;ie &#x017F;ind mir wie eine Daumen&#x017F;chraube<lb/>
auch für den klein&#x017F;ten Augenblick <hi rendition="#g">unleidlich</hi>. Son&#x017F;t lieb&#x2019;<lb/>
ich Schweigen und Zuhören: und in einer &#x017F;chönen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie-<lb/>
derum auch die Andern. Gewöhnlich i&#x017F;t Plappern bei mir<lb/>
Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech&#x2019; ich<lb/>
über Liebe und dergleichen, &#x017F;o kann ich nur &#x017F;cherzen, und ver-<lb/>
kehrt &#x017F;prechen. Über Mu&#x017F;ik aber &#x017F;preche ich nie als im Ern&#x017F;te;<lb/>
weil man da nicht allein recht&#x017F;chaffen &#x017F;ein, &#x017F;ondern auch den-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0322] des Tages ganz beſchäftigt — die ihre kleinen Lügen ſelbſt immer propagandiren —, von Äußerlichkeiten ſo eingenom- men, daß ſie auf der Menſchen Weſen, Stimme, Ton, Blick, Mienen, Haltung, Seele und Art wenig merken, oder ſchief: und beſonders halten die Elenden Ausflüchte und Behelfe für wahre Klugheit, die ſie Andern ſehr ſelten zutrauen; be- ſonders Phantaſten nicht, wie ſie innigere Menſchen nennen. Dies iſt ſehr wahr. — Mit M. hatte ich ein merkwürdig Geſpräch über ſeine geweſene Liebe! Und von D. erzähl’ ich Ihnen auch. Wol- len wir ſie nach den Inſeln ſchicken?? Gäb’ es Strafe, gäb’ es Recht, ſo würde Europa zur wüſten Inſel! — Mittwoch, den 30. December 1806. — Mein eigenes Sprechen erregte mich — wie immer — und die Möglichkeit es zu können, iſt, war und bleibt mir lieb. Wenn ich aber ſo viel ſpreche, ſo iſt es gewöhnlich um Ennui und Verlegenheit mit Gewalt los zu werden: dieſe zwei haſſe ich; und ſie ſind mir wie eine Daumenſchraube auch für den kleinſten Augenblick unleidlich. Sonſt lieb’ ich Schweigen und Zuhören: und in einer ſchönen Geſellſchaft wird einem das immer. Und unterbrechen kann man hinwie- derum auch die Andern. Gewöhnlich iſt Plappern bei mir Behelf für den Abend; und Schmerzenszeichen. Sprech’ ich über Liebe und dergleichen, ſo kann ich nur ſcherzen, und ver- kehrt ſprechen. Über Muſik aber ſpreche ich nie als im Ernſte; weil man da nicht allein rechtſchaffen ſein, ſondern auch den-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/322
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/322>, abgerufen am 18.12.2024.