sagen! das einzige Fest im Jahr, welches den Eindruck eines Festes auf mich macht -- weil es kein anniversaire eines ge- wesenen Festes ist, sondern ein unter uns fortlebendes -- aber wie melancholisch! -- wenn ich wollte -- vor dem Jahre weint' ich noch bitterlich, als ich die Bescheerungskro- nen erzündet sah; und ich mir die sichere approbirte Ruhe dachte, die ein Glück sein könnte. Jetzt -- denk' ich an vor'm Jahr, und denke mir nichts. Wie ein Gestorbener komm' ich mir vor. Und Prätension an Glück, an irgend ein eingerichtetes, erwartetes Glück, macht mich wie Komödie, ganz ohne Bitterkeit und Schmerz lächeln. Die Krone brennt: und ich wundere mich mehr, wie Menschen etwas wiederholen können. Mit welcher Inbrunst schenkt' ich vor drei und zwei Jahren: ich weine jetzt nicht einmal. --
Sonntag, den 27. December 1806.
Ich habe diesen Morgen die Bemerkung gemacht, daß, wenn einem etwas Entsetzliches geschieht, auch körperlich, man sich erst beklagt, wenn es vorbei ist.
Dann hab' ich gestern Abend bemerkt, daß, ganz umge- kehrt wie man denken sollte, Leute, die sich häufig Ausreden bedienen, und denen Lügen nicht fremd und zuwider sind, und seit Kindheit eine bekannte, gangbare, in Gebrauch stehende Münze in ihrer Tasche, eben die sind, denen man ohne Vor- bereitung, ohne wahre Hoffnung sie zu betrügen, etwas weiß machen kann; ganz leicht! Ich habe es mir auch schon er- klärt. Diese Menschen sind immer mit kleinen Geschichten
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ſagen! das einzige Feſt im Jahr, welches den Eindruck eines Feſtes auf mich macht — weil es kein anniversaire eines ge- weſenen Feſtes iſt, ſondern ein unter uns fortlebendes — aber wie melancholiſch! — wenn ich wollte — vor dem Jahre weint’ ich noch bitterlich, als ich die Beſcheerungskro- nen erzündet ſah; und ich mir die ſichere approbirte Ruhe dachte, die ein Glück ſein könnte. Jetzt — denk’ ich an vor’m Jahr, und denke mir nichts. Wie ein Geſtorbener komm’ ich mir vor. Und Prätenſion an Glück, an irgend ein eingerichtetes, erwartetes Glück, macht mich wie Komödie, ganz ohne Bitterkeit und Schmerz lächeln. Die Krone brennt: und ich wundere mich mehr, wie Menſchen etwas wiederholen können. Mit welcher Inbrunſt ſchenkt’ ich vor drei und zwei Jahren: ich weine jetzt nicht einmal. —
Sonntag, den 27. December 1806.
Ich habe dieſen Morgen die Bemerkung gemacht, daß, wenn einem etwas Entſetzliches geſchieht, auch körperlich, man ſich erſt beklagt, wenn es vorbei iſt.
Dann hab’ ich geſtern Abend bemerkt, daß, ganz umge- kehrt wie man denken ſollte, Leute, die ſich häufig Ausreden bedienen, und denen Lügen nicht fremd und zuwider ſind, und ſeit Kindheit eine bekannte, gangbare, in Gebrauch ſtehende Münze in ihrer Taſche, eben die ſind, denen man ohne Vor- bereitung, ohne wahre Hoffnung ſie zu betrügen, etwas weiß machen kann; ganz leicht! Ich habe es mir auch ſchon er- klärt. Dieſe Menſchen ſind immer mit kleinen Geſchichten
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ſagen! das einzige Feſt im Jahr, welches den Eindruck eines
Feſtes auf mich macht — weil es kein anniversaire eines ge-
weſenen Feſtes iſt, ſondern ein unter uns fortlebendes —
aber wie melancholiſch! — wenn ich wollte — vor dem
Jahre weint’ ich noch bitterlich, als ich die Beſcheerungskro-
nen erzündet ſah; und ich mir die ſichere approbirte Ruhe
dachte, die ein Glück ſein könnte. Jetzt — denk’ ich an
vor’m Jahr, und denke mir nichts. Wie ein Geſtorbener
komm’ ich mir vor. Und Prätenſion an Glück, an irgend ein
eingerichtetes, erwartetes Glück, macht mich wie Komödie,
ganz ohne Bitterkeit und Schmerz lächeln. Die Krone
brennt: und ich wundere mich mehr, wie Menſchen etwas
wiederholen können. Mit welcher Inbrunſt ſchenkt’ ich vor
drei und zwei Jahren: ich weine jetzt nicht einmal. —
Sonntag, den 27. December 1806.
Ich habe dieſen Morgen die Bemerkung gemacht, daß,
wenn einem etwas Entſetzliches geſchieht, auch körperlich, man
ſich erſt beklagt, wenn es vorbei iſt.
Dann hab’ ich geſtern Abend bemerkt, daß, ganz umge-
kehrt wie man denken ſollte, Leute, die ſich häufig Ausreden
bedienen, und denen Lügen nicht fremd und zuwider ſind, und
ſeit Kindheit eine bekannte, gangbare, in Gebrauch ſtehende
Münze in ihrer Taſche, eben die ſind, denen man ohne Vor-
bereitung, ohne wahre Hoffnung ſie zu betrügen, etwas weiß
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/321>, abgerufen am 18.12.2024.
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