in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe und Willen, von Sinn und Leisten, mit höchster Anerkennung, mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem so günstig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinstimmen wollten. Aus diesem Gegensatz und Irrthum entstanden na- türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen sich späterhin traurig genug darstellten; die Sache selbst aber war mir schon damals deutlich, und ich wollte mein Einsehen nicht einmal sehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um so stärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr einen Ersatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu dürfen, die ihr nur allzu oft versagt wurde."
"Unser Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern theilte ich alles mit, was ich als wichtigsten und daher auch in mancher Art geheimsten Ertrag meines bisherigen Lebens wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine, wo ein so lebhafter, einsichtsvoller und wahrheitfrischer Sinn ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß- fallen konnt' ich auch unausgesprochen errathen; nur fühlte ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, son- dern eher wuchs, und bei diesem Gewinn konnte mir alles Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir selbst gleichsam entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen Gebilde, welche zum Austausche sich vor mir ausbreiteten. Mir war vergönnt, in das reichste Leben zu blicken, wie nur
in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung, mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na- türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“
„Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine, wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß- fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon- dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten. Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0032"n="18"/>
in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe<lb/>
und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung,<lb/>
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn<lb/>
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo<lb/>
günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen<lb/>
wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na-<lb/>
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich<lb/>ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war<lb/>
mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht<lb/>
einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den<lb/>
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um<lb/>ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr<lb/>
einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu<lb/>
dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“</p><lb/><p>„Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern<lb/>
theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch<lb/>
in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens<lb/>
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,<lb/>
wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn<lb/>
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für<lb/>
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-<lb/>
fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte<lb/>
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon-<lb/>
dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles<lb/>
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam<lb/>
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen<lb/>
Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten.<lb/>
Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[18/0032]
in ihr war, bei Allen voraus, nahm jeden Funken von Gabe
und Willen, von Sinn und Leiſten, mit höchſter Anerkennung,
mit entzückter Güte auf, und konnte es nicht begreifen, wenn
die weitern Äußerungen und Handlungen dann mit dem ſo
günſtig Gedeuteten nur allzu bald nicht mehr übereinſtimmen
wollten. Aus dieſem Gegenſatz und Irrthum entſtanden na-
türlich viele Unrichtigkeiten und Nachtheile, deren Folgen ſich
ſpäterhin traurig genug darſtellten; die Sache ſelbſt aber war
mir ſchon damals deutlich, und ich wollte mein Einſehen nicht
einmal ſehr verhehlen. Ich glaubte Iphigenien unter den
Barbaren in Tauris aufzufinden, und fühlte mich nun um
ſo ſtärker zu ihr hingezogen, als ich mir bewußt war, ihr
einen Erſatz anbieten zu können, ihr eine Gebühr darbringen zu
dürfen, die ihr nur allzu oft verſagt wurde.“
„Unſer Vertrauen wuchs mit jedem Tage. Gar zu gern
theilte ich alles mit, was ich als wichtigſten und daher auch
in mancher Art geheimſten Ertrag meines bisherigen Lebens
wußte, und dem ich keine edlere Stätte finden konnte, keine,
wo ein ſo lebhafter, einſichtsvoller und wahrheitfriſcher Sinn
ihm entgegengekommen wäre. Weit entfernt, Billigung für
alles zu finden, vernahm ich manchen Tadel, und andres Miß-
fallen konnt’ ich auch unausgeſprochen errathen; nur fühlte
ich wohl, daß die Theilnahme für mich dabei nicht litt, ſon-
dern eher wuchs, und bei dieſem Gewinn konnte mir alles
Übrige nichts anhaben. Auch wurde ich mir ſelbſt gleichſam
entrückt in der gewaltigen Anziehung der außerordentlichen
Gebilde, welche zum Austauſche ſich vor mir ausbreiteten.
Mir war vergönnt, in das reichſte Leben zu blicken, wie nur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/32>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.