Die Menschen, die mich beleidigen können, haben mich schon vorher beleidigt, eh' sie's thaten. Sie werden mich nicht beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi- gen. Egl. aber z. B. mag machen was er will, er beleidigt mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er muß mich beleidigen, weil er einmal diesen Punkt getroffen hat; und so Mehrere! --
Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie sagten. Nichts ist odiöser, als sich hinter Ignoranz verstecken, weil es zärtlich gegen sich selbst und roh gegen die Andern und eine ungeschickte Lüge ist, und diese Komposition die schlechteste Art von Nichtswürdigkeit ist.
Wenn ich die Leute, nicht die Menschen, gut behandle, so ist das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten so grob zu machen vermag, als es zu ihnen stimmte, und weil mein Zorn gedämpft wird von der Furcht, die sie mir einflößen, und die ganz dieselbe ist, die ich vor wilden Hunden habe. Meine Verachtung aber ist gewiß die ächteste! --
Ich komme so bald zu Ihnen, als ich kann. Sobald ich wieder ganz besser bin, und der Fußboden trocken. Mor- gen in jedem Fall.
Den 24. September 1806.
Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns selbst giebt: dies kann wieder kommen, wenn es ginge; und das Bewußtsein davon kann mir nichts rauben. Auch für Andre muß es Trost sein, ein Herz voll schlecht behandelter Liebe, die alle Leidenschaft werden mußte, im schönen Port
Die Menſchen, die mich beleidigen können, haben mich ſchon vorher beleidigt, eh’ ſie’s thaten. Sie werden mich nicht beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi- gen. Egl. aber z. B. mag machen was er will, er beleidigt mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er muß mich beleidigen, weil er einmal dieſen Punkt getroffen hat; und ſo Mehrere! —
Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie ſagten. Nichts iſt odiöſer, als ſich hinter Ignoranz verſtecken, weil es zärtlich gegen ſich ſelbſt und roh gegen die Andern und eine ungeſchickte Lüge iſt, und dieſe Kompoſition die ſchlechteſte Art von Nichtswürdigkeit iſt.
Wenn ich die Leute, nicht die Menſchen, gut behandle, ſo iſt das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten ſo grob zu machen vermag, als es zu ihnen ſtimmte, und weil mein Zorn gedämpft wird von der Furcht, die ſie mir einflößen, und die ganz dieſelbe iſt, die ich vor wilden Hunden habe. Meine Verachtung aber iſt gewiß die ächteſte! —
Ich komme ſo bald zu Ihnen, als ich kann. Sobald ich wieder ganz beſſer bin, und der Fußboden trocken. Mor- gen in jedem Fall.
Den 24. September 1806.
Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns ſelbſt giebt: dies kann wieder kommen, wenn es ginge; und das Bewußtſein davon kann mir nichts rauben. Auch für Andre muß es Troſt ſein, ein Herz voll ſchlecht behandelter Liebe, die alle Leidenſchaft werden mußte, im ſchönen Port
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0316"n="302"/><hirendition="#g">Die</hi> Menſchen, die mich <hirendition="#g">beleidigen können, haben</hi><lb/>
mich ſchon <hirendition="#g">vorher</hi> beleidigt, eh’ſie’s thaten. <hirendition="#g">Sie werden</hi><lb/>
mich <hirendition="#g">nicht</hi> beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi-<lb/>
gen. Egl. aber z. B. <hirendition="#g">mag</hi> machen was er will, er beleidigt<lb/>
mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er <hirendition="#g">muß</hi> mich<lb/>
beleidigen, weil er einmal dieſen Punkt getroffen hat; und<lb/>ſo Mehrere! —</p><lb/><p>Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie ſagten.<lb/>
Nichts iſt odiöſer, als ſich hinter Ignoranz verſtecken, weil<lb/>
es zärtlich gegen ſich ſelbſt und roh gegen die Andern und<lb/>
eine ungeſchickte Lüge iſt, und dieſe Kompoſition die ſchlechteſte<lb/>
Art von Nichtswürdigkeit iſt.</p><lb/><p>Wenn ich die <hirendition="#g">Leute</hi>, nicht die Menſchen, gut behandle,<lb/>ſo iſt das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten ſo grob zu<lb/>
machen vermag, als es zu ihnen ſtimmte, und weil mein Zorn<lb/>
gedämpft wird von der <hirendition="#g">Furcht</hi>, die ſie mir einflößen, und<lb/>
die ganz dieſelbe iſt, die ich vor wilden Hunden habe. Meine<lb/>
Verachtung aber iſt gewiß die ächteſte! —</p><lb/><p>Ich komme ſo bald zu Ihnen, als ich <hirendition="#g">kann</hi>. Sobald<lb/>
ich wieder ganz beſſer bin, und der Fußboden trocken. Mor-<lb/>
gen in jedem Fall.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Den 24. September 1806.</hi></dateline><lb/><p>Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns<lb/>ſelbſt <hirendition="#g">giebt</hi>: dies kann <hirendition="#g">wieder</hi> kommen, wenn es ginge; und<lb/>
das Bewußtſein davon kann mir nichts rauben. Auch für<lb/>
Andre muß es Troſt ſein, ein Herz voll ſchlecht behandelter<lb/>
Liebe, die alle Leidenſchaft werden mußte, im ſchönen Port<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[302/0316]
Die Menſchen, die mich beleidigen können, haben
mich ſchon vorher beleidigt, eh’ ſie’s thaten. Sie werden
mich nicht beleidigen, darum können Sie mich nicht beleidi-
gen. Egl. aber z. B. mag machen was er will, er beleidigt
mich immer, denn er hat mich beleidigt, und er muß mich
beleidigen, weil er einmal dieſen Punkt getroffen hat; und
ſo Mehrere! —
Sie haben übrigens in allem Recht, was Sie ſagten.
Nichts iſt odiöſer, als ſich hinter Ignoranz verſtecken, weil
es zärtlich gegen ſich ſelbſt und roh gegen die Andern und
eine ungeſchickte Lüge iſt, und dieſe Kompoſition die ſchlechteſte
Art von Nichtswürdigkeit iſt.
Wenn ich die Leute, nicht die Menſchen, gut behandle,
ſo iſt das, weil ich mich nicht zu allen Zeiten ſo grob zu
machen vermag, als es zu ihnen ſtimmte, und weil mein Zorn
gedämpft wird von der Furcht, die ſie mir einflößen, und
die ganz dieſelbe iſt, die ich vor wilden Hunden habe. Meine
Verachtung aber iſt gewiß die ächteſte! —
Ich komme ſo bald zu Ihnen, als ich kann. Sobald
ich wieder ganz beſſer bin, und der Fußboden trocken. Mor-
gen in jedem Fall.
Den 24. September 1806.
Ich lernte, daß es Klarheit und Glück in, und durch uns
ſelbſt giebt: dies kann wieder kommen, wenn es ginge; und
das Bewußtſein davon kann mir nichts rauben. Auch für
Andre muß es Troſt ſein, ein Herz voll ſchlecht behandelter
Liebe, die alle Leidenſchaft werden mußte, im ſchönen Port
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/316>, abgerufen am 19.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.