von mir; sonst können Sie mich nicht lieben! Denken Sie, wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken fähig sind; nur denken Sie sich nicht nichts -- und überlassen es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es sind nur mir bekannte, gesteigerte, geordnete, glückliche Eigenschaf- ten in ihnen, nicht dunkle Unbestimmtheiten, die mir diesen Trost, diese Wonne gewähren. --
1805.
Die vier eitelsten Menschen, die ich gekannt habe, sind Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf Tilly. Doch müssen Frau von Gr. und Doktor Böhm an der Spitze stehen, weil die beiden ganz ausdrücklich sich selbst etwas vorlügen, und offenbar nun bereits seit dreißig Jahren Schmeichelvisiten an sich selbst ablegen. Sie möchten vor Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen sich ewig; kön- nen sich ganze Geschichten einbilden; geben sich Kenntnisse, die sie nicht haben, versagen sich keine Gabe, kurz, machen sich ohne Umstände glücklich; und haben nur -- auch keinen ächten, -- einen falschen Ärger, wenn sie ja einmal bemerken, daß Einer wohl anders über sie meinte, als sie selbst; da es sie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen Lüge nicht sehr stört, so rügen sie es bloß wie eine Erdrei- stung, die geahndet werden müßte, als eine in der Gesellschaft eingeschlichene Unordnung, die sie nur scheinbar ergreift: denn auch Gesellschaft an und für sich interessirt sie nicht, und nur im oberflächlichsten augenblicklichsten Bezuge auf sie selbst.
von mir; ſonſt können Sie mich nicht lieben! Denken Sie, wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken fähig ſind; nur denken Sie ſich nicht nichts — und überlaſſen es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es ſind nur mir bekannte, geſteigerte, geordnete, glückliche Eigenſchaf- ten in ihnen, nicht dunkle Unbeſtimmtheiten, die mir dieſen Troſt, dieſe Wonne gewähren. —
1805.
Die vier eitelſten Menſchen, die ich gekannt habe, ſind Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf Tilly. Doch müſſen Frau von Gr. und Doktor Böhm an der Spitze ſtehen, weil die beiden ganz ausdrücklich ſich ſelbſt etwas vorlügen, und offenbar nun bereits ſeit dreißig Jahren Schmeichelviſiten an ſich ſelbſt ablegen. Sie möchten vor Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen ſich ewig; kön- nen ſich ganze Geſchichten einbilden; geben ſich Kenntniſſe, die ſie nicht haben, verſagen ſich keine Gabe, kurz, machen ſich ohne Umſtände glücklich; und haben nur — auch keinen ächten, — einen falſchen Ärger, wenn ſie ja einmal bemerken, daß Einer wohl anders über ſie meinte, als ſie ſelbſt; da es ſie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen Lüge nicht ſehr ſtört, ſo rügen ſie es bloß wie eine Erdrei- ſtung, die geahndet werden müßte, als eine in der Geſellſchaft eingeſchlichene Unordnung, die ſie nur ſcheinbar ergreift: denn auch Geſellſchaft an und für ſich intereſſirt ſie nicht, und nur im oberflächlichſten augenblicklichſten Bezuge auf ſie ſelbſt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0288"n="274"/>
von mir; ſonſt können Sie mich nicht lieben! Denken Sie,<lb/>
wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken<lb/>
fähig ſind; nur denken Sie ſich nicht nichts — und überlaſſen<lb/>
es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe<lb/>
Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es ſind<lb/>
nur mir bekannte, geſteigerte, geordnete, glückliche Eigenſchaf-<lb/>
ten in ihnen, nicht dunkle Unbeſtimmtheiten, die mir dieſen<lb/>
Troſt, dieſe Wonne gewähren. —</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1805.</hi></dateline><lb/><p>Die vier eitelſten Menſchen, die ich gekannt habe, ſind<lb/>
Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf<lb/>
Tilly. Doch müſſen Frau von Gr. und Doktor Böhm an<lb/>
der Spitze ſtehen, weil die beiden ganz ausdrücklich ſich ſelbſt<lb/>
etwas vorlügen, und offenbar nun bereits ſeit dreißig Jahren<lb/>
Schmeichelviſiten an ſich ſelbſt ablegen. Sie möchten vor<lb/>
Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen ſich ewig; kön-<lb/>
nen ſich ganze <choice><sic>Gefchichten</sic><corr>Geſchichten</corr></choice> einbilden; geben ſich Kenntniſſe,<lb/>
die ſie nicht haben, verſagen ſich keine Gabe, kurz, machen<lb/>ſich ohne Umſtände glücklich; und haben nur — auch keinen<lb/>
ächten, — einen falſchen Ärger, wenn ſie ja einmal bemerken,<lb/>
daß Einer wohl anders über ſie meinte, als ſie ſelbſt; da es<lb/>ſie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen<lb/>
Lüge nicht ſehr ſtört, ſo rügen ſie es bloß wie eine Erdrei-<lb/>ſtung, die geahndet werden müßte, als eine in der Geſellſchaft<lb/>
eingeſchlichene Unordnung, die ſie nur ſcheinbar ergreift: denn<lb/>
auch Geſellſchaft an und für ſich intereſſirt ſie nicht, und nur<lb/>
im oberflächlichſten augenblicklichſten Bezuge auf ſie ſelbſt.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[274/0288]
von mir; ſonſt können Sie mich nicht lieben! Denken Sie,
wenn Sie wollen, alles Gute von mir, das Sie zu denken
fähig ſind; nur denken Sie ſich nicht nichts — und überlaſſen
es meinen etwanigen Fähigkeiten, dies auszufüllen. Ich habe
Sterbliche, die ich bis zur Vergötterung liebe; aber es ſind
nur mir bekannte, geſteigerte, geordnete, glückliche Eigenſchaf-
ten in ihnen, nicht dunkle Unbeſtimmtheiten, die mir dieſen
Troſt, dieſe Wonne gewähren. —
1805.
Die vier eitelſten Menſchen, die ich gekannt habe, ſind
Frau von Gr., Doktor Böhm, Major von Gu., und Graf
Tilly. Doch müſſen Frau von Gr. und Doktor Böhm an
der Spitze ſtehen, weil die beiden ganz ausdrücklich ſich ſelbſt
etwas vorlügen, und offenbar nun bereits ſeit dreißig Jahren
Schmeichelviſiten an ſich ſelbſt ablegen. Sie möchten vor
Glück und Süßigkeit untergehn! wiederholen ſich ewig; kön-
nen ſich ganze Geſchichten einbilden; geben ſich Kenntniſſe,
die ſie nicht haben, verſagen ſich keine Gabe, kurz, machen
ſich ohne Umſtände glücklich; und haben nur — auch keinen
ächten, — einen falſchen Ärger, wenn ſie ja einmal bemerken,
daß Einer wohl anders über ſie meinte, als ſie ſelbſt; da es
ſie aber in ihrer Meinung und in ihrer großen behaglichen
Lüge nicht ſehr ſtört, ſo rügen ſie es bloß wie eine Erdrei-
ſtung, die geahndet werden müßte, als eine in der Geſellſchaft
eingeſchlichene Unordnung, die ſie nur ſcheinbar ergreift: denn
auch Geſellſchaft an und für ſich intereſſirt ſie nicht, und nur
im oberflächlichſten augenblicklichſten Bezuge auf ſie ſelbſt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/288>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.