Seit der Zeit - - - Es gelangt keine Freude zu meinem Herzen; wie ein Gespenst steht er unten, und drückt es mit Riesengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies Gespenst, dies verzerrte Bild, ich lieb' es! Sagen Sie mir, wann wird dieser Wahnsinn, dieser gräßliche Schmerz en- den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben wie 1804.
An Frau von F., in Berlin.
Berlin, Herbst, 1803.
-- -- Sie sind mir lieb, folglich auch der Brief: aber welche Mühe haben Sie sich gegeben! Nicht allein, so viel, so klein geschrieben zu haben; -- aber den Egoismus heraus zu stöbern! Wenn Sie schon auf's Allgemeinste gehen wollen, es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Lassen wir dies! -- Können Sie mir gut sein, liebe Freundin? Ja! Weil ich Ihnen gut sein kann, keine von uns stumpf oder zunichte ist. Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtsein und Geist, so werd' ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine schöne schätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver- hindern, uns mit Gründen so ernst zu bekriegen, bis eine jede von uns in das Gebiet gedrängt ist, wo andere Waffen gel- ten. Dies ist geistiger Umgang, ohne den ich -- eigentlich nicht umgehen kann! Dies wird sich bei uns schon machen, dafür lass' ich uns beide sorgen; -- wie ich es überall liebe, viel vorauszusetzen! -- Machen Sie sich keine zu große Idee
I. 18
1805.
Seit der Zeit ‒ ‒ ‒ Es gelangt keine Freude zu meinem Herzen; wie ein Geſpenſt ſteht er unten, und drückt es mit Rieſengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies Geſpenſt, dies verzerrte Bild, ich lieb’ es! Sagen Sie mir, wann wird dieſer Wahnſinn, dieſer gräßliche Schmerz en- den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben wie 1804.
An Frau von F., in Berlin.
Berlin, Herbſt, 1803.
— — Sie ſind mir lieb, folglich auch der Brief: aber welche Mühe haben Sie ſich gegeben! Nicht allein, ſo viel, ſo klein geſchrieben zu haben; — aber den Egoismus heraus zu ſtöbern! Wenn Sie ſchon auf’s Allgemeinſte gehen wollen, es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Laſſen wir dies! — Können Sie mir gut ſein, liebe Freundin? Ja! Weil ich Ihnen gut ſein kann, keine von uns ſtumpf oder zunichte iſt. Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtſein und Geiſt, ſo werd’ ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine ſchöne ſchätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver- hindern, uns mit Gründen ſo ernſt zu bekriegen, bis eine jede von uns in das Gebiet gedrängt iſt, wo andere Waffen gel- ten. Dies iſt geiſtiger Umgang, ohne den ich — eigentlich nicht umgehen kann! Dies wird ſich bei uns ſchon machen, dafür laſſ’ ich uns beide ſorgen; — wie ich es überall liebe, viel vorauszuſetzen! — Machen Sie ſich keine zu große Idee
I. 18
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0287"n="273"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1805.</hi></dateline><lb/><p>Seit der Zeit ‒‒‒ Es gelangt keine Freude zu meinem<lb/>
Herzen; wie ein Geſpenſt ſteht er unten, und drückt es mit<lb/>
Rieſengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies<lb/>
Geſpenſt, dies verzerrte Bild, ich lieb’ es! Sagen Sie mir,<lb/>
wann wird dieſer Wahnſinn, dieſer gräßliche Schmerz en-<lb/>
den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben<lb/>
wie 1804.</p></div></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>An Frau von F., in Berlin.</head><lb/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">Berlin, Herbſt, 1803.</hi></dateline><lb/><p>—— Sie ſind mir lieb, folglich auch der Brief: aber<lb/>
welche Mühe haben Sie ſich gegeben! Nicht allein, ſo viel,<lb/>ſo klein geſchrieben zu haben; — aber den Egoismus heraus<lb/>
zu ſtöbern! Wenn Sie ſchon auf’s Allgemeinſte gehen wollen,<lb/>
es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Laſſen wir dies! —<lb/>
Können Sie mir gut ſein, liebe Freundin? Ja! Weil ich<lb/>
Ihnen gut ſein kann, keine von uns ſtumpf oder zunichte iſt.<lb/>
Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtſein<lb/>
und Geiſt, ſo werd’ ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine<lb/>ſchöne ſchätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver-<lb/>
hindern, uns mit Gründen ſo ernſt zu bekriegen, bis eine jede<lb/>
von uns in das Gebiet gedrängt iſt, wo andere Waffen gel-<lb/>
ten. Dies iſt geiſtiger Umgang, ohne den ich — eigentlich<lb/>
nicht umgehen kann! Dies wird ſich bei uns ſchon machen,<lb/>
dafür laſſ’ ich uns beide ſorgen; — wie ich es überall liebe,<lb/>
viel vorauszuſetzen! — Machen Sie ſich keine zu große Idee<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#aq">I.</hi> 18</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[273/0287]
1805.
Seit der Zeit ‒ ‒ ‒ Es gelangt keine Freude zu meinem
Herzen; wie ein Geſpenſt ſteht er unten, und drückt es mit
Rieſengewalt zu; und nur Schmerzen kommen dahin; dies
Geſpenſt, dies verzerrte Bild, ich lieb’ es! Sagen Sie mir,
wann wird dieſer Wahnſinn, dieſer gräßliche Schmerz en-
den! Wodurch? Sonntag, den 15. September 1805. Eben
wie 1804.
An Frau von F., in Berlin.
Berlin, Herbſt, 1803.
— — Sie ſind mir lieb, folglich auch der Brief: aber
welche Mühe haben Sie ſich gegeben! Nicht allein, ſo viel,
ſo klein geſchrieben zu haben; — aber den Egoismus heraus
zu ſtöbern! Wenn Sie ſchon auf’s Allgemeinſte gehen wollen,
es giebt noch etwas Allgemeineres, als ihn! Laſſen wir dies! —
Können Sie mir gut ſein, liebe Freundin? Ja! Weil ich
Ihnen gut ſein kann, keine von uns ſtumpf oder zunichte iſt.
Gut! Ich bin eigenthümlich? Bin ich dies mit Bewußtſein
und Geiſt, ſo werd’ ich jede Eigenthümlichkeit ehren, und eine
ſchöne ſchätzen und pflegen. Das kann uns aber nicht ver-
hindern, uns mit Gründen ſo ernſt zu bekriegen, bis eine jede
von uns in das Gebiet gedrängt iſt, wo andere Waffen gel-
ten. Dies iſt geiſtiger Umgang, ohne den ich — eigentlich
nicht umgehen kann! Dies wird ſich bei uns ſchon machen,
dafür laſſ’ ich uns beide ſorgen; — wie ich es überall liebe,
viel vorauszuſetzen! — Machen Sie ſich keine zu große Idee
I. 18
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/287>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.