kann, und auch über die gewöhnlichsten Dinge nicht mehr Rede stehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen sollte, und was ich so eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverständnisse der Leute über mich geliefert: ja ja, sie mögen gewiß Recht haben, aber -- erstlich schaden sie mir und helfen sie mir gar nicht, Freude hab' ich von keinem, und wär' ich -- wo- für sie sich ausgeben, so würden sie mir in meiner Gegen- wart nicht besser begegnen, als sie thun, denn ich muß es nur sagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach- tung, und welcher Mensch hat nicht die Hälfte der Andern wider sich! Mir also kann, muß, mit einer sehr kleinen Zahl für mich sehr genügen, sogar überflüssig, wenn ich als er- bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich sein müssen. Abscheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich schlech- terdings nicht gesagt zu haben; sogar in individuellen Ge- schichten geb' ich immer dem Unrecht, der mit mir spricht -- darüber muß sich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden Stümper alle thun -- mehr oder weniger, mit erstaunten Abtheilungen und Modifikationen -- das ist aber alles meine rechte Schuld nicht: sie könnens mir gar nicht vergessen, daß ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, sie fürchten mich, weil sie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); sie wissen aber nicht, daß ich einen verständigen Gedanken im Kopf habe; aber ein paar Bonmots sind ihnen von mir zu Ohren gekommen, die meistens Tadel überzogen, und nun ist ihnen jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-
kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte, und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo- für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen- wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach- tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er- bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen. Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech- terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge- ſchichten geb’ ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht — darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden Stümper alle thun — mehr oder weniger, mit erſtaunten Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0135"n="121"/>
kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr<lb/>
Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte,<lb/>
und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben<lb/>
mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der<lb/>
Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht<lb/>
haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir<lb/>
gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo-<lb/>
für <hirendition="#g">ſie</hi>ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen-<lb/>
wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es<lb/>
nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach-<lb/>
tung, und welcher Menſch hat nicht die <hirendition="#g">Hälfte</hi> der Andern<lb/>
wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl<lb/>
für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er-<lb/>
bärmliches Mädchen bedenke, <hirendition="#g">wie die für</hi> mich ſein müſſen.<lb/>
Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech-<lb/>
terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge-<lb/>ſchichten geb’ ich immer <hirendition="#g">dem</hi> Unrecht, der mit mir ſpricht —<lb/>
darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich<lb/>
mich oft <hirendition="#g">vertheidigt</hi> zu haben, was die unbegreifenden<lb/>
Stümper alle <hirendition="#g">thun</hi>— mehr oder weniger, mit erſtaunten<lb/>
Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine<lb/>
rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß<lb/>
ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil<lb/>ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen<lb/>
aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf<lb/>
habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren<lb/>
gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen<lb/>
jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[121/0135]
kann, und auch über die gewöhnlichſten Dinge nicht mehr
Rede ſtehen kann, niemals weiß wo ich wohl anfangen ſollte,
und was ich ſo eigentlich zu vertheidigen habe. Sie haben
mir noch ein Stück zur Erklärung der Mißverſtändniſſe der
Leute über mich geliefert: ja ja, ſie mögen gewiß Recht
haben, aber — erſtlich ſchaden ſie mir und helfen ſie mir
gar nicht, Freude hab’ ich von keinem, und wär’ ich — wo-
für ſie ſich ausgeben, ſo würden ſie mir in meiner Gegen-
wart nicht beſſer begegnen, als ſie thun, denn ich muß es
nur ſagen, in meiner Gegenwart genieße ich die größte Ach-
tung, und welcher Menſch hat nicht die Hälfte der Andern
wider ſich! Mir alſo kann, muß, mit einer ſehr kleinen Zahl
für mich ſehr genügen, ſogar überflüſſig, wenn ich als er-
bärmliches Mädchen bedenke, wie die für mich ſein müſſen.
Abſcheulichkeiten (im Sinn der Leute) erinnere ich mich ſchlech-
terdings nicht geſagt zu haben; ſogar in individuellen Ge-
ſchichten geb’ ich immer dem Unrecht, der mit mir ſpricht —
darüber muß ſich die Honnetetät freuen; freilich erinnere ich
mich oft vertheidigt zu haben, was die unbegreifenden
Stümper alle thun — mehr oder weniger, mit erſtaunten
Abtheilungen und Modifikationen — das iſt aber alles meine
rechte Schuld nicht: ſie könnens mir gar nicht vergeſſen, daß
ich zu meinen vierzehn Jahren witzig war, ſie fürchten mich, weil
ſie mich für klug halten (ihr gewöhnlich Wort); ſie wiſſen
aber nicht, daß ich einen verſtändigen Gedanken im Kopf
habe; aber ein paar Bonmots ſind ihnen von mir zu Ohren
gekommen, die meiſtens Tadel überzogen, und nun iſt ihnen
jeder Blick aus meinen unglücklich tiefliegenden Augen zu-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/135>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.