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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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noch tausend Branchen, die er hätte ausführen und ohne sie
einzuschränken unter eine Regel bringen können; dann hätt'
er über die Dichtkunst geschrieben: Sie werden sagen, in ei-
ner Rezension geht das nicht an; gut. Hat er aber rezen-
sirt? gar nicht. Er hat ein paar Gedichte angeführt, wo
er den hübschen Gang derselben, als Beschreibung lebloser
Gegenstände, aushebt, und den Versbau lobt; ja hören Sie
wenn das nicht drin wäre, so wären sie auch schlecht, und
wie alle Frühlinge in allen Kalendern. Da er doch gesucht
hat, ihn zu loben, so wundert mich erstaunt, daß er nicht
andere Dinger dieser Sammlung genommen hat, als "die
Elfen" und noch einige, deren Namen mir nicht einfallen will.
Soll ich das für neu halten, daß er sagt, der Dichter müsse
nicht zu subjektiv zu Werke gehen, und sich mehr an den ob-
jektiven allgemeinen Eindruck der Dinge halten, die man na-
türliche Empfindungen nennt; weil es nothwendig ist, daß
man viele Deutsche, -- was sag' ich viele? Legionen! -- von
neuem daran erinnern muß, daß sie nicht von ihrem Birn-
baum, ihrer Charlotte, und endlich ihren seichten unver-
ständlichen Empfindungen sprechen sollen? -- Die Meinung,
daß ein Dichter, wenn er simple einfache Verhältnisse oder
Naturerscheinungen schildern will, es nicht thun soll als ein
Mensch, der sich nicht feinere und verwebtere hat denken kön-
nen sondern als ein Mensch, der sie nicht hat finden können,
in der wirklichen Welt (ich weiß Schillers Worte nicht; ich
glaub' er sagt praktisches Vermögen) und zu dem Einfachen
wie durch das Fegfeuer gereinigt zurückkömmt, halt' ich auch
nur wie versteckten Tadel; wie das bischen Rezension über-

noch tauſend Branchen, die er hätte ausführen und ohne ſie
einzuſchränken unter eine Regel bringen können; dann hätt’
er über die Dichtkunſt geſchrieben: Sie werden ſagen, in ei-
ner Rezenſion geht das nicht an; gut. Hat er aber rezen-
ſirt? gar nicht. Er hat ein paar Gedichte angeführt, wo
er den hübſchen Gang derſelben, als Beſchreibung lebloſer
Gegenſtände, aushebt, und den Versbau lobt; ja hören Sie
wenn das nicht drin wäre, ſo wären ſie auch ſchlecht, und
wie alle Frühlinge in allen Kalendern. Da er doch geſucht
hat, ihn zu loben, ſo wundert mich erſtaunt, daß er nicht
andere Dinger dieſer Sammlung genommen hat, als „die
Elfen“ und noch einige, deren Namen mir nicht einfallen will.
Soll ich das für neu halten, daß er ſagt, der Dichter müſſe
nicht zu ſubjektiv zu Werke gehen, und ſich mehr an den ob-
jektiven allgemeinen Eindruck der Dinge halten, die man na-
türliche Empfindungen nennt; weil es nothwendig iſt, daß
man viele Deutſche, — was ſag’ ich viele? Legionen! — von
neuem daran erinnern muß, daß ſie nicht von ihrem Birn-
baum, ihrer Charlotte, und endlich ihren ſeichten unver-
ſtändlichen Empfindungen ſprechen ſollen? — Die Meinung,
daß ein Dichter, wenn er ſimple einfache Verhältniſſe oder
Naturerſcheinungen ſchildern will, es nicht thun ſoll als ein
Menſch, der ſich nicht feinere und verwebtere hat denken kön-
nen ſondern als ein Menſch, der ſie nicht hat finden können,
in der wirklichen Welt (ich weiß Schillers Worte nicht; ich
glaub’ er ſagt praktiſches Vermögen) und zu dem Einfachen
wie durch das Fegfeuer gereinigt zurückkömmt, halt’ ich auch
nur wie verſteckten Tadel; wie das bischen Rezenſion über-

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[103/0117] noch tauſend Branchen, die er hätte ausführen und ohne ſie einzuſchränken unter eine Regel bringen können; dann hätt’ er über die Dichtkunſt geſchrieben: Sie werden ſagen, in ei- ner Rezenſion geht das nicht an; gut. Hat er aber rezen- ſirt? gar nicht. Er hat ein paar Gedichte angeführt, wo er den hübſchen Gang derſelben, als Beſchreibung lebloſer Gegenſtände, aushebt, und den Versbau lobt; ja hören Sie wenn das nicht drin wäre, ſo wären ſie auch ſchlecht, und wie alle Frühlinge in allen Kalendern. Da er doch geſucht hat, ihn zu loben, ſo wundert mich erſtaunt, daß er nicht andere Dinger dieſer Sammlung genommen hat, als „die Elfen“ und noch einige, deren Namen mir nicht einfallen will. Soll ich das für neu halten, daß er ſagt, der Dichter müſſe nicht zu ſubjektiv zu Werke gehen, und ſich mehr an den ob- jektiven allgemeinen Eindruck der Dinge halten, die man na- türliche Empfindungen nennt; weil es nothwendig iſt, daß man viele Deutſche, — was ſag’ ich viele? Legionen! — von neuem daran erinnern muß, daß ſie nicht von ihrem Birn- baum, ihrer Charlotte, und endlich ihren ſeichten unver- ſtändlichen Empfindungen ſprechen ſollen? — Die Meinung, daß ein Dichter, wenn er ſimple einfache Verhältniſſe oder Naturerſcheinungen ſchildern will, es nicht thun ſoll als ein Menſch, der ſich nicht feinere und verwebtere hat denken kön- nen ſondern als ein Menſch, der ſie nicht hat finden können, in der wirklichen Welt (ich weiß Schillers Worte nicht; ich glaub’ er ſagt praktiſches Vermögen) und zu dem Einfachen wie durch das Fegfeuer gereinigt zurückkömmt, halt’ ich auch nur wie verſteckten Tadel; wie das bischen Rezenſion über-

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/117>, abgerufen am 17.05.2024.