haben, nie mehr mit Ehren von ihr sprechen: ich hätte ihr in das zarte Gesicht geschlagen. Und es ist nicht Faulheit und Unwissenheit allein, die mich so unfähig erhalten.
Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die Welt, die sie finden, ab; und sie laufen ganz heimlich mit durch. Ein Nachkomme soll sie mal errathen, beweinen, zu ihnen sich wenden. Kaum ein Zeitgenosse!
Menschen ohne Kontenance sind eifersüchtig, -- nicht bloß, daß sie die Eifersucht zeigen, weil ihnen die Kunst, sie zu verbergen, fehlt. -- Man ist nicht eifersüchtig, wo man liebt: aber allda, wo man geliebt sein will, oder geglaubt hat es zu sein. -- Auch ein Resultat von heute, welches mich viel kostet ... nicht Eifersucht -- aber lange Zeit: und viel Den- ken. Denn das begriff ich gar nicht.
An Frau von F., in Berlin.
Freitag, den 27. December 1805.
Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Festung wieder ab! das ist nicht zum Durchsetzen.
Gestern blieb ich ganz allein: und schrieb den ganzen Abend; was Sie wissen, und Geschäfte; und dann las ich die Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men- schen zu mir kommen, so merk' ich, daß, so traurig ich eigent- lich sein kann, und so wenig Erfreuliches ich mir eigentlich zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne
haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten.
Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe!
Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, — nicht bloß, daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu verbergen, fehlt. — Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt: aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es zu ſein. — Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel koſtet ... nicht Eiferſucht — aber lange Zeit: und viel Den- ken. Denn das begriff ich gar nicht.
An Frau von F., in Berlin.
Freitag, den 27. December 1805.
Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen.
Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men- ſchen zu mir kommen, ſo merk’ ich, daß, ſo traurig ich eigent- lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne
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haben, nie mehr mit Ehren von ihr ſprechen: ich hätte ihr in
das zarte Geſicht geſchlagen. Und es iſt nicht Faulheit und
Unwiſſenheit allein, die mich ſo unfähig erhalten.
Dichter aber führen große Gebäude auf; die formen die
Welt, die ſie finden, ab; und ſie laufen ganz heimlich mit
durch. Ein Nachkomme ſoll ſie mal errathen, beweinen, zu
ihnen ſich wenden. Kaum ein Zeitgenoſſe!
Menſchen ohne Kontenance ſind eiferſüchtig, — nicht bloß,
daß ſie die Eiferſucht zeigen, weil ihnen die Kunſt, ſie zu
verbergen, fehlt. — Man iſt nicht eiferſüchtig, wo man liebt:
aber allda, wo man geliebt ſein will, oder geglaubt hat es
zu ſein. — Auch ein Reſultat von heute, welches mich viel
koſtet ... nicht Eiferſucht — aber lange Zeit: und viel Den-
ken. Denn das begriff ich gar nicht.
An Frau von F., in Berlin.
Freitag, den 27. December 1805.
Sinken Sie nicht! Ich fürchte es immer, und wenn ich
auch nur Einen Tag nicht komme. Mich hält die alte Feſtung
wieder ab! das iſt nicht zum Durchſetzen.
Geſtern blieb ich ganz allein: und ſchrieb den ganzen
Abend; was Sie wiſſen, und Geſchäfte; und dann las ich die
Zeitung, hatte Kopfweh, und ging zu Bette. Wenn Men-
ſchen zu mir kommen, ſo merk’ ich, daß, ſo traurig ich eigent-
lich ſein kann, und ſo wenig Erfreuliches ich mir eigentlich
zu rekapituliren und zu erwarten habe, ich doch recht gerne
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/295>, abgerufen am 28.11.2024.
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