in der großen Kette zu bilden, aus einem andern Gesichts- punkte ansehen. Sie spricht in diesem Kinderbuche, welches sie den kleinen La Bruyere nennt, und worin sie mit ganz fertigen Sätzen aus der Gesellschaft würfelt, mit kleinen Per- sonen von sieben, acht, bis fünfzehn Jahren. Denen spricht sie von Staat, citoyens, von Verbannungen -- worunter sie Minister und Ausgewanderte meint --, vom Zustand der Reue und dem Troste des Alters, von Ämtern und verlorenen Freuden vor; als ob das klügste Kind nicht noch weniger zu einem von allen Seiten schon beleidigten Menschen zu machen wäre, als ein dümmeres! Kann man sich wohl verstehen, wenn man nicht dieselben Dinge erlebt hat? und gehören dazu nicht innere Fähigkeiten und äußere Ereignisse in der Zeit, die ein Fünfzehnjähriger nicht gehabt hat? Mit dem Eintritt in die Welt meint sie aber auch weiter nichts, als die Einführung in die Gesellschaftssäle. --
Sie sagt auch: "Tous les sentiments qu'il est impos- sible de conserver toute sa vie, ne viennent point de l'ame." Es giebt auch Menschen, die nicht während ihres ganzen Le- bens die Seele ganz behalten: und so ist ihr auch das An- denken und die Ideen der Liebe vergangen. --
"Schwache und begränzte Menschen sind ganz nothwen- dig oft undankbar." Es giebt wirklich schwache Herzen; wie Köpfe. Undankbar ist nicht, wenn man nicht dankt: undank- bar ist, wenn man annimmt, was man nicht leisten würde. --
"Il n'y a guere que les secrets caches par l'amour pro- pre, qui soient exactement gardes." Wahr! aber auch die, die uns zu viel in Andrer Augen schmeicheln würden. --
Seit
in der großen Kette zu bilden, aus einem andern Geſichts- punkte anſehen. Sie ſpricht in dieſem Kinderbuche, welches ſie den kleinen La Bruyere nennt, und worin ſie mit ganz fertigen Sätzen aus der Geſellſchaft würfelt, mit kleinen Per- ſonen von ſieben, acht, bis fünfzehn Jahren. Denen ſpricht ſie von Staat, citoyens, von Verbannungen — worunter ſie Miniſter und Ausgewanderte meint —, vom Zuſtand der Reue und dem Troſte des Alters, von Ämtern und verlorenen Freuden vor; als ob das klügſte Kind nicht noch weniger zu einem von allen Seiten ſchon beleidigten Menſchen zu machen wäre, als ein dümmeres! Kann man ſich wohl verſtehen, wenn man nicht dieſelben Dinge erlebt hat? und gehören dazu nicht innere Fähigkeiten und äußere Ereigniſſe in der Zeit, die ein Fünfzehnjähriger nicht gehabt hat? Mit dem Eintritt in die Welt meint ſie aber auch weiter nichts, als die Einführung in die Geſellſchaftsſäle. —
Sie ſagt auch: „Tous les sentiments qu’il est impos- sible de conserver toute sa vie, ne viennent point de l’ame.” Es giebt auch Menſchen, die nicht während ihres ganzen Le- bens die Seele ganz behalten: und ſo iſt ihr auch das An- denken und die Ideen der Liebe vergangen. —
„Schwache und begränzte Menſchen ſind ganz nothwen- dig oft undankbar.“ Es giebt wirklich ſchwache Herzen; wie Köpfe. Undankbar iſt nicht, wenn man nicht dankt: undank- bar iſt, wenn man annimmt, was man nicht leiſten würde. —
„Il n’y a guère que les secrets cachés par l’amour pro- pre, qui soient exactement gardés.” Wahr! aber auch die, die uns zu viel in Andrer Augen ſchmeicheln würden. —
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in der großen Kette zu bilden, aus einem andern Geſichts-
punkte anſehen. Sie ſpricht in dieſem Kinderbuche, welches
ſie den kleinen La Bruyere nennt, und worin ſie mit ganz
fertigen Sätzen aus der Geſellſchaft würfelt, mit kleinen Per-
ſonen von ſieben, acht, bis fünfzehn Jahren. Denen ſpricht
ſie von Staat, citoyens, von Verbannungen — worunter ſie
Miniſter und Ausgewanderte meint —, vom Zuſtand der
Reue und dem Troſte des Alters, von Ämtern und verlorenen
Freuden vor; als ob das klügſte Kind nicht noch weniger zu
einem von allen Seiten ſchon beleidigten Menſchen zu machen
wäre, als ein dümmeres! Kann man ſich wohl verſtehen,
wenn man nicht dieſelben Dinge erlebt hat? und gehören
dazu nicht innere Fähigkeiten und äußere Ereigniſſe in der
Zeit, die ein Fünfzehnjähriger nicht gehabt hat? Mit dem
Eintritt in die Welt meint ſie aber auch weiter nichts, als
die Einführung in die Geſellſchaftsſäle. —
Sie ſagt auch: „Tous les sentiments qu’il est impos-
sible de conserver toute sa vie, ne viennent point de l’ame.”
Es giebt auch Menſchen, die nicht während ihres ganzen Le-
bens die Seele ganz behalten: und ſo iſt ihr auch das An-
denken und die Ideen der Liebe vergangen. —
„Schwache und begränzte Menſchen ſind ganz nothwen-
dig oft undankbar.“ Es giebt wirklich ſchwache Herzen; wie
Köpfe. Undankbar iſt nicht, wenn man nicht dankt: undank-
bar iſt, wenn man annimmt, was man nicht leiſten würde. —
„Il n’y a guère que les secrets cachés par l’amour pro-
pre, qui soient exactement gardés.” Wahr! aber auch die,
die uns zu viel in Andrer Augen ſchmeicheln würden. —
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/286>, abgerufen am 28.11.2024.
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