Den Abend als ich Sie zuletzt sah, dacht' ich gleich, daß ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde: ich nahm mir vor, es nicht zu lesen. So lag es bis jetzt bei mir. Vergessen hab' ich's nicht; jetzt aber erst fiel mir ein: es kann ja aber etwas darin stehen, worauf er denken kann du seist verrückt wenn du nicht antwortest. Und so erbrach ich Ihr Billet.
Ich werde in der ersten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre Briefe zusammen suchen: einige werden fehlen, die hab' ich in der Geschwindigkeit zerrissen, als sie Einmal jemand bei mir lesen wollte, der die Art hat, alles lesen zu wollen. Daß ich Ihnen schreibe, ist die Folgung des schönsten, leisesten Rufs in mir: ich will keine Art von Dank, Sie sollen es bloß nicht für hoheitliche verstockte Rechtlichkeit halten. Auch geb' ich Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: son- dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umständen, nur der Schreiber Briefe versteht, und dann gebühren sie ihm. Damit sag' ich auch nicht, daß ich sie nicht verstanden habe.
Nun sag' ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß, wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch nicht mit Ihnen. Wenigstens nicht in Gesellschaft. Dies vor der Hand nicht zu thun, hatte ich mir fest vorgenommen.
Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom- men, so will ich mit Ihnen sprechen. Mir ganz allein
An den Grafen L.
Berlin, den 3. Januar 1802.
Den Abend als ich Sie zuletzt ſah, dacht’ ich gleich, daß ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde: ich nahm mir vor, es nicht zu leſen. So lag es bis jetzt bei mir. Vergeſſen hab’ ich’s nicht; jetzt aber erſt fiel mir ein: es kann ja aber etwas darin ſtehen, worauf er denken kann du ſeiſt verrückt wenn du nicht antworteſt. Und ſo erbrach ich Ihr Billet.
Ich werde in der erſten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre Briefe zuſammen ſuchen: einige werden fehlen, die hab’ ich in der Geſchwindigkeit zerriſſen, als ſie Einmal jemand bei mir leſen wollte, der die Art hat, alles leſen zu wollen. Daß ich Ihnen ſchreibe, iſt die Folgung des ſchönſten, leiſeſten Rufs in mir: ich will keine Art von Dank, Sie ſollen es bloß nicht für hoheitliche verſtockte Rechtlichkeit halten. Auch geb’ ich Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: ſon- dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umſtänden, nur der Schreiber Briefe verſteht, und dann gebühren ſie ihm. Damit ſag’ ich auch nicht, daß ich ſie nicht verſtanden habe.
Nun ſag’ ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß, wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch nicht mit Ihnen. Wenigſtens nicht in Geſellſchaft. Dies vor der Hand nicht zu thun, hatte ich mir feſt vorgenommen.
Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom- men, ſo will ich mit Ihnen ſprechen. Mir ganz allein
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0264"n="250"/><divn="2"><head>An den Grafen L.</head><lb/><dateline><hirendition="#et">Berlin, den 3. Januar 1802.</hi></dateline><lb/><p>Den Abend als ich Sie zuletzt ſah, dacht’ ich gleich, daß<lb/>
ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde:<lb/>
ich nahm mir vor, es nicht zu leſen. So lag es bis jetzt bei<lb/>
mir. Vergeſſen hab’ ich’s nicht; jetzt aber erſt fiel mir ein:<lb/>
es kann ja aber etwas darin ſtehen, worauf er denken kann<lb/>
du ſeiſt verrückt wenn du nicht antworteſt. Und ſo erbrach<lb/>
ich Ihr Billet.</p><lb/><p>Ich werde in der erſten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre<lb/>
Briefe zuſammen ſuchen: einige werden fehlen, die hab’ ich<lb/>
in der Geſchwindigkeit zerriſſen, als ſie Einmal jemand bei<lb/>
mir leſen wollte, der die Art hat, alles leſen zu wollen. Daß<lb/>
ich Ihnen ſchreibe, iſt die Folgung des ſchönſten, leiſeſten Rufs<lb/>
in mir: ich will keine Art von Dank, Sie ſollen es bloß nicht<lb/>
für hoheitliche verſtockte Rechtlichkeit halten. Auch geb’ ich<lb/>
Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: ſon-<lb/>
dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umſtänden, nur der<lb/>
Schreiber Briefe verſteht, und dann gebühren ſie ihm. Damit<lb/>ſag’ ich auch nicht, daß ich ſie nicht verſtanden habe.</p><lb/><p>Nun ſag’ ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß,<lb/>
wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch<lb/>
nicht mit Ihnen. Wenigſtens nicht in Geſellſchaft. Dies vor<lb/>
der Hand nicht zu thun, hatte ich mir feſt vorgenommen.</p><lb/><p>Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom-<lb/>
men, ſo will ich mit Ihnen ſprechen. <hirendition="#g">Mir ganz allein</hi><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[250/0264]
An den Grafen L.
Berlin, den 3. Januar 1802.
Den Abend als ich Sie zuletzt ſah, dacht’ ich gleich, daß
ich den andern Morgen ein Billet von Ihnen erhalten würde:
ich nahm mir vor, es nicht zu leſen. So lag es bis jetzt bei
mir. Vergeſſen hab’ ich’s nicht; jetzt aber erſt fiel mir ein:
es kann ja aber etwas darin ſtehen, worauf er denken kann
du ſeiſt verrückt wenn du nicht antworteſt. Und ſo erbrach
ich Ihr Billet.
Ich werde in der erſten Stunde, wo ich Zeit habe, Ihre
Briefe zuſammen ſuchen: einige werden fehlen, die hab’ ich
in der Geſchwindigkeit zerriſſen, als ſie Einmal jemand bei
mir leſen wollte, der die Art hat, alles leſen zu wollen. Daß
ich Ihnen ſchreibe, iſt die Folgung des ſchönſten, leiſeſten Rufs
in mir: ich will keine Art von Dank, Sie ſollen es bloß nicht
für hoheitliche verſtockte Rechtlichkeit halten. Auch geb’ ich
Ihnen Ihre Briefe nicht aus gleichgültiger Rechtlichkeit: ſon-
dern, weil ich weiß, daß unter manchen Umſtänden, nur der
Schreiber Briefe verſteht, und dann gebühren ſie ihm. Damit
ſag’ ich auch nicht, daß ich ſie nicht verſtanden habe.
Nun ſag’ ich Ihnen aber, daß man Sie lieben (muß,
wenn man Sie kennt) kann, aber umgehen kann man noch
nicht mit Ihnen. Wenigſtens nicht in Geſellſchaft. Dies vor
der Hand nicht zu thun, hatte ich mir feſt vorgenommen.
Wollen Sie morgen Vormittag um 12 Uhr zu mir kom-
men, ſo will ich mit Ihnen ſprechen. Mir ganz allein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/264>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.