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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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Moden giebt's keine neue. Theater schlecht. Alles mir
so bekannt wie's Berliner. Was thust du diesen Sommer?
Humboldts reisen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. s. w.
und zum Winter nach Tegel. --




Man karakterisirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und
sehr oft steht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und
in der Mitte. Die seine Werke in Rangordnung bringen
wollen, nennen bald dieses, bald jenes erst, bald erklären sie
den Goethe aus dem einen, bald aus andern stückweise, und
scheinen so hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz
zu erkennen sei? Warum stellen sie nicht Einmal die simple
Frage auf: Aus welchem von seinen Werken könnte man
wohl schließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne?
Ist diese Frage zu beantworten, so hätte man den Anfang
jener Rangordnung gleich gefunden, und sie könnte ihren
Fortgang nehmen. Ich würde Tasso auf diese Frage nennen.
Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.



So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit ist,
so wagt man noch immer etwas, sich unter die Ungebildeten
zu mischen.




Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der
die Straßen, wie's im Frühling pflegt, noch nicht ganz schwärzte,

Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir
ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer?
Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w.
und zum Winter nach Tegel. —




Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und
ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und
in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen
wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie
den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und
ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz
zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple
Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man
wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne?
Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang
jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren
Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen.
Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben.



So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt,
ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten
zu miſchen.




Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der
die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,

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[247/0261] Moden giebt’s keine neue. Theater ſchlecht. Alles mir ſo bekannt wie’s Berliner. Was thuſt du dieſen Sommer? Humboldts reiſen den letzten Mai nach Erfurt, Jena u. ſ. w. und zum Winter nach Tegel. — Oktober 1801. Man karakteriſirt jetzt häufig Dichter und Gedichte, und ſehr oft ſteht der Name Goethe an der Spitze, am Ende und in der Mitte. Die ſeine Werke in Rangordnung bringen wollen, nennen bald dieſes, bald jenes erſt, bald erklären ſie den Goethe aus dem einen, bald aus andern ſtückweiſe, und ſcheinen ſo hin und her zu rathen, aus welchem er wohl ganz zu erkennen ſei? Warum ſtellen ſie nicht Einmal die ſimple Frage auf: Aus welchem von ſeinen Werken könnte man wohl ſchließen, ob er wohl alle übrige gemacht haben könne? Iſt dieſe Frage zu beantworten, ſo hätte man den Anfang jener Rangordnung gleich gefunden, und ſie könnte ihren Fortgang nehmen. Ich würde Taſſo auf dieſe Frage nennen. Und jeder, der etwas nennt, müßte Gründe angeben. So lange das Recht noch auf der Seite der Tollheit iſt, ſo wagt man noch immer etwas, ſich unter die Ungebildeten zu miſchen. Den 9. Oktober 1801. Ein bis zum Nebel trübes Wetter ließ Regen fallen, der die Straßen, wie’s im Frühling pflegt, noch nicht ganz ſchwärzte,

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/261>, abgerufen am 25.11.2024.