Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo sie ist!!!! Sa- gen Sie mir etwas!
Nun kommt die Bitte und die Hauptsache in meinem Brief. Besorgen Sie sie, als wenn sie ganz für mich wäre! obgleich sie für Gualtieri ist. -- -- Thun Sie das für Ihre Freundin.
Ihre R. L.
1799.
Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergessen; was mir aber geschehen ist, kann ich ich nicht vergessen; behüt Gott jeden, dies zu verstehen!
Jedes gewaltsame und plötzliche Aufhören ist mir unan- genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in der Seele behalten, welchem wir später oder früher auch wie- der so begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als es ausgeht, so ist das schön; denn da bleibt umgekehrt etwas Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.
Man kann mit den Empfindungen, wie mit andern Gü- tern, schlecht haushalten. Man kann durch eine geschäftige Einbildungskraft so dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor- greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erscheint, man nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet ist, sich gelassen bei Dingen zu finden, die man als das Ent- setzlichste gefürchtet hat. Das pflegt man abgestumpft zu nen- nen; und es ist doch nur das eigentlichste Unglück.
Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo ſie iſt!!!! Sa- gen Sie mir etwas!
Nun kommt die Bitte und die Hauptſache in meinem Brief. Beſorgen Sie ſie, als wenn ſie ganz für mich wäre! obgleich ſie für Gualtieri iſt. — — Thun Sie das für Ihre Freundin.
Ihre R. L.
1799.
Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergeſſen; was mir aber geſchehen iſt, kann ich ich nicht vergeſſen; behüt Gott jeden, dies zu verſtehen!
Jedes gewaltſame und plötzliche Aufhören iſt mir unan- genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in der Seele behalten, welchem wir ſpäter oder früher auch wie- der ſo begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als es ausgeht, ſo iſt das ſchön; denn da bleibt umgekehrt etwas Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.
Man kann mit den Empfindungen, wie mit andern Gü- tern, ſchlecht haushalten. Man kann durch eine geſchäftige Einbildungskraft ſo dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor- greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erſcheint, man nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet iſt, ſich gelaſſen bei Dingen zu finden, die man als das Ent- ſetzlichſte gefürchtet hat. Das pflegt man abgeſtumpft zu nen- nen; und es iſt doch nur das eigentlichſte Unglück.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0205"n="191"/>
Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo ſie iſt!!!! Sa-<lb/>
gen Sie mir etwas!</p><lb/><p>Nun kommt die Bitte und die Hauptſache in meinem<lb/>
Brief. Beſorgen Sie ſie, als wenn ſie <hirendition="#g">ganz für mich wäre</hi>!<lb/>
obgleich ſie für Gualtieri iſt. —— Thun Sie das für Ihre<lb/>
Freundin.</p><closer><salute><hirendition="#et">Ihre R. L.</hi></salute></closer></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="3"><dateline><hirendition="#et">1799.</hi></dateline><lb/><p>Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergeſſen; was<lb/>
mir aber geſchehen iſt, kann ich ich nicht vergeſſen; behüt Gott<lb/>
jeden, dies zu verſtehen!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Jedes gewaltſame und plötzliche Aufhören iſt mir unan-<lb/>
genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in<lb/>
der Seele behalten, welchem wir ſpäter oder früher auch wie-<lb/>
der ſo begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als<lb/>
es ausgeht, ſo iſt das ſchön; denn da bleibt umgekehrt etwas<lb/>
Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Man kann mit den <choice><sic>Empſindungen</sic><corr>Empfindungen</corr></choice>, wie mit andern Gü-<lb/>
tern, ſchlecht haushalten. Man kann durch eine geſchäftige<lb/>
Einbildungskraft ſo dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor-<lb/>
greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erſcheint, man<lb/>
nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet<lb/>
iſt, ſich gelaſſen bei Dingen zu finden, die man als das Ent-<lb/>ſetzlichſte gefürchtet hat. Das pflegt man abgeſtumpft zu nen-<lb/>
nen; und es iſt doch nur das eigentlichſte Unglück.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></div></div></body></text></TEI>
[191/0205]
Humboldt? von der ich nicht einmal weiß, wo ſie iſt!!!! Sa-
gen Sie mir etwas!
Nun kommt die Bitte und die Hauptſache in meinem
Brief. Beſorgen Sie ſie, als wenn ſie ganz für mich wäre!
obgleich ſie für Gualtieri iſt. — — Thun Sie das für Ihre
Freundin.
Ihre R. L.
1799.
Was ich nicht bekommen habe, kann ich vergeſſen; was
mir aber geſchehen iſt, kann ich ich nicht vergeſſen; behüt Gott
jeden, dies zu verſtehen!
Jedes gewaltſame und plötzliche Aufhören iſt mir unan-
genehm; weil wir etwas Unausgeführtes vor Augen und in
der Seele behalten, welchem wir ſpäter oder früher auch wie-
der ſo begegnen. Wenn aber das Leben eher aufhört, als
es ausgeht, ſo iſt das ſchön; denn da bleibt umgekehrt etwas
Ganzes zurück, und nicht etwas Trauriges oder Ekelhaftes.
Man kann mit den Empfindungen, wie mit andern Gü-
tern, ſchlecht haushalten. Man kann durch eine geſchäftige
Einbildungskraft ſo dem natürlichen Ausbruch der Ideen vor-
greifen, daß, wenn die Zukunft als Gegenwart erſcheint, man
nur eine Vergangenheit zu wiederholen hat, und befremdet
iſt, ſich gelaſſen bei Dingen zu finden, die man als das Ent-
ſetzlichſte gefürchtet hat. Das pflegt man abgeſtumpft zu nen-
nen; und es iſt doch nur das eigentlichſte Unglück.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/205>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.