noch hinunterbringen!" Von Müller und Voß meinte er, sie würden sich doch sehr ärgern, die verständen nicht so Spaß wie er. Indeß empfand auch er einigen Schreck und Entrüstung, als er vernahm, daß wir Goethe'n zu necken gewagt, und auch die Figur Wil¬ helm Meisters frevelhaft mißbraucht hätten. "Kinder, was habt ihr da gethan! sagte er bedenklich, das hättet ihr unterlassen sollen! Goethe ist ein geweihtes Haupt, der steht anders, als alle Uebrigen. Den geb' ich weniger preis, als mich selbst!" Ich hatte in meinem Bericht die Farben eher zu stark als zu schwach aufge¬ tragen, und freute mich schon, daß Jean Paul das Buch wenigstens nicht schlimmer finden würde, als er es sich jetzt vorgestellt. Wegen Goethe's suchte ich ihn wieder etwas zu beruhigen. Von diesem sprachen wir nun noch eine Weile, und Jean Paul mit steigender Bewunderung, ja mit einem Schauder von Ehrer¬ bietung. --
Das herrlichste Obst war zum Nachtisch aufgetragen. Plötzlich erhob sich Jean Paul, gab mir die Hand, und sagte: "Verzeihen Sie, ich gehe zu Bett! Da es aber noch sehr früh ist, so bleiben Sie in Gottesnamen noch hier und plaudern mit meiner Frau, es wird noch man¬ cherlei vorzubringen sein, was ich nicht aufkommen ließ. Ich bin ein Spießbürger, die Stunde ist da, wo ich schlafen muß!" Er nahm ein Licht, und sagte gutnacht. Wir schieden in großer Herzlichkeit, und in dem beider¬
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noch hinunterbringen!“ Von Muͤller und Voß meinte er, ſie wuͤrden ſich doch ſehr aͤrgern, die verſtaͤnden nicht ſo Spaß wie er. Indeß empfand auch er einigen Schreck und Entruͤſtung, als er vernahm, daß wir Goethe'n zu necken gewagt, und auch die Figur Wil¬ helm Meiſters frevelhaft mißbraucht haͤtten. „Kinder, was habt ihr da gethan! ſagte er bedenklich, das haͤttet ihr unterlaſſen ſollen! Goethe iſt ein geweihtes Haupt, der ſteht anders, als alle Uebrigen. Den geb' ich weniger preis, als mich ſelbſt!“ Ich hatte in meinem Bericht die Farben eher zu ſtark als zu ſchwach aufge¬ tragen, und freute mich ſchon, daß Jean Paul das Buch wenigſtens nicht ſchlimmer finden wuͤrde, als er es ſich jetzt vorgeſtellt. Wegen Goethe's ſuchte ich ihn wieder etwas zu beruhigen. Von dieſem ſprachen wir nun noch eine Weile, und Jean Paul mit ſteigender Bewunderung, ja mit einem Schauder von Ehrer¬ bietung. —
Das herrlichſte Obſt war zum Nachtiſch aufgetragen. Ploͤtzlich erhob ſich Jean Paul, gab mir die Hand, und ſagte: „Verzeihen Sie, ich gehe zu Bett! Da es aber noch ſehr fruͤh iſt, ſo bleiben Sie in Gottesnamen noch hier und plaudern mit meiner Frau, es wird noch man¬ cherlei vorzubringen ſein, was ich nicht aufkommen ließ. Ich bin ein Spießbuͤrger, die Stunde iſt da, wo ich ſchlafen muß!“ Er nahm ein Licht, und ſagte gutnacht. Wir ſchieden in großer Herzlichkeit, und in dem beider¬
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noch hinunterbringen!“ Von Muͤller und Voß meinte
er, ſie wuͤrden ſich doch ſehr aͤrgern, die verſtaͤnden
nicht ſo Spaß wie er. Indeß empfand auch er einigen
Schreck und Entruͤſtung, als er vernahm, daß wir
Goethe'n zu necken gewagt, und auch die Figur Wil¬
helm Meiſters frevelhaft mißbraucht haͤtten. „Kinder,
was habt ihr da gethan! ſagte er bedenklich, das haͤttet
ihr unterlaſſen ſollen! Goethe iſt ein geweihtes Haupt,
der ſteht anders, als alle Uebrigen. Den geb' ich
weniger preis, als mich ſelbſt!“ Ich hatte in meinem
Bericht die Farben eher zu ſtark als zu ſchwach aufge¬
tragen, und freute mich ſchon, daß Jean Paul das
Buch wenigſtens nicht ſchlimmer finden wuͤrde, als er
es ſich jetzt vorgeſtellt. Wegen Goethe's ſuchte ich ihn
wieder etwas zu beruhigen. Von dieſem ſprachen wir
nun noch eine Weile, und Jean Paul mit ſteigender
Bewunderung, ja mit einem Schauder von Ehrer¬
bietung. —
Das herrlichſte Obſt war zum Nachtiſch aufgetragen.
Ploͤtzlich erhob ſich Jean Paul, gab mir die Hand, und
ſagte: „Verzeihen Sie, ich gehe zu Bett! Da es aber
noch ſehr fruͤh iſt, ſo bleiben Sie in Gottesnamen noch
hier und plaudern mit meiner Frau, es wird noch man¬
cherlei vorzubringen ſein, was ich nicht aufkommen ließ.
Ich bin ein Spießbuͤrger, die Stunde iſt da, wo ich
ſchlafen muß!“ Er nahm ein Licht, und ſagte gutnacht.
Wir ſchieden in großer Herzlichkeit, und in dem beider¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/95>, abgerufen am 28.11.2024.
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