rührte mich als eine liebenswürdige Schwäche, die auch seinem Wesen weniger schädlich ist, als sie es einem andern wäre, das sich mehr in eingreifendem Handeln und scharfem persönlichen Vortreten gefiele. Jean Paul's Ungerechtigkeit ist nur eine in ihm, nicht in der Welt, sie überschreitet das stille Gehege seiner Privatgedanken nicht. Und die Rückkehr zur Freundlichkeit und Güte wiegt hundertmal die kurze Abwendung auf.
Ich lernte Jean Paul aus diesen Gesprächen mehr kennen, als die Personen, die er besprach. Es ist ein reiner edler Mensch, kein Falsch und kein Schmutz ist in seinem Leben, er ist ganz wie er schreibt, liebevoll, innig, stark und brav. Auch an persönlicher Tapfer¬ keit fehlt es ihm gewiß nicht, und käme die Gelegen¬ heit, so würde er, ich traue es ihm zu, mit dem Degen schneller bei der Hand sein, als mancher Andre.
Als ich mir den trefflichen Mann in seinem Werthe so betrachtete und erwog, schlug mir plötzlich das Ge¬ wissen. Ich mußte an unsern Doppelroman, die "Ver¬ suche und Hindernisse", gedenken, und an die komische Figur, welche Jean Paul unter diesem seinen Namen und in seiner eigensten Manier darin spielt. Zwar hatte ich grade an dieser Figur den wenigsten Antheil, sie war, ihren besten und eindringendsten Zügen nach, das Werk von Neumann, aber an dem Ganzen war ich doch mitschuldig, und es kam mir wie eine Treu¬ losigkeit vor, von Jean Paul jetzt zu scheiden, ohne
III. 6
ruͤhrte mich als eine liebenswuͤrdige Schwaͤche, die auch ſeinem Weſen weniger ſchaͤdlich iſt, als ſie es einem andern waͤre, das ſich mehr in eingreifendem Handeln und ſcharfem perſoͤnlichen Vortreten gefiele. Jean Paul's Ungerechtigkeit iſt nur eine in ihm, nicht in der Welt, ſie uͤberſchreitet das ſtille Gehege ſeiner Privatgedanken nicht. Und die Ruͤckkehr zur Freundlichkeit und Guͤte wiegt hundertmal die kurze Abwendung auf.
Ich lernte Jean Paul aus dieſen Geſpraͤchen mehr kennen, als die Perſonen, die er beſprach. Es iſt ein reiner edler Menſch, kein Falſch und kein Schmutz iſt in ſeinem Leben, er iſt ganz wie er ſchreibt, liebevoll, innig, ſtark und brav. Auch an perſoͤnlicher Tapfer¬ keit fehlt es ihm gewiß nicht, und kaͤme die Gelegen¬ heit, ſo wuͤrde er, ich traue es ihm zu, mit dem Degen ſchneller bei der Hand ſein, als mancher Andre.
Als ich mir den trefflichen Mann in ſeinem Werthe ſo betrachtete und erwog, ſchlug mir ploͤtzlich das Ge¬ wiſſen. Ich mußte an unſern Doppelroman, die „Ver¬ ſuche und Hinderniſſe“, gedenken, und an die komiſche Figur, welche Jean Paul unter dieſem ſeinen Namen und in ſeiner eigenſten Manier darin ſpielt. Zwar hatte ich grade an dieſer Figur den wenigſten Antheil, ſie war, ihren beſten und eindringendſten Zuͤgen nach, das Werk von Neumann, aber an dem Ganzen war ich doch mitſchuldig, und es kam mir wie eine Treu¬ loſigkeit vor, von Jean Paul jetzt zu ſcheiden, ohne
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ruͤhrte mich als eine liebenswuͤrdige Schwaͤche, die
auch ſeinem Weſen weniger ſchaͤdlich iſt, als ſie es einem
andern waͤre, das ſich mehr in eingreifendem Handeln
und ſcharfem perſoͤnlichen Vortreten gefiele. Jean Paul's
Ungerechtigkeit iſt nur eine in ihm, nicht in der Welt,
ſie uͤberſchreitet das ſtille Gehege ſeiner Privatgedanken
nicht. Und die Ruͤckkehr zur Freundlichkeit und Guͤte
wiegt hundertmal die kurze Abwendung auf.
Ich lernte Jean Paul aus dieſen Geſpraͤchen mehr
kennen, als die Perſonen, die er beſprach. Es iſt ein
reiner edler Menſch, kein Falſch und kein Schmutz iſt
in ſeinem Leben, er iſt ganz wie er ſchreibt, liebevoll,
innig, ſtark und brav. Auch an perſoͤnlicher Tapfer¬
keit fehlt es ihm gewiß nicht, und kaͤme die Gelegen¬
heit, ſo wuͤrde er, ich traue es ihm zu, mit dem Degen
ſchneller bei der Hand ſein, als mancher Andre.
Als ich mir den trefflichen Mann in ſeinem Werthe
ſo betrachtete und erwog, ſchlug mir ploͤtzlich das Ge¬
wiſſen. Ich mußte an unſern Doppelroman, die „Ver¬
ſuche und Hinderniſſe“, gedenken, und an die komiſche
Figur, welche Jean Paul unter dieſem ſeinen Namen
und in ſeiner eigenſten Manier darin ſpielt. Zwar
hatte ich grade an dieſer Figur den wenigſten Antheil,
ſie war, ihren beſten und eindringendſten Zuͤgen nach,
das Werk von Neumann, aber an dem Ganzen war
ich doch mitſchuldig, und es kam mir wie eine Treu¬
loſigkeit vor, von Jean Paul jetzt zu ſcheiden, ohne
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/93>, abgerufen am 28.11.2024.
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