sagen pflegte, etwas wieder einfällt, je mehr staune ich! Sie ist eine Künstlerin, sie hebt eine ganz neue Sphäre an, sie ist ein Ausnahmswesen, mit dem gewöhnlichen Leben in Krieg, oder weit darüber hinaus; -- und so muß sie denn auch unverheirathet bleiben!" Er pries mich glücklich, eine solche Freundin zu haben, und fragte mich, gleichsam prüfend und meinen Werth messend, wodurch ich, noch so jung, mir das verdient habe? Ich gewann sichtbar in seinen Augen durch diese Beziehung. Als ich am Abend dies alles Harschern wiedererzählte, war auch dieser ganz benommen von der Macht solcher Aeußerungen, denen er sich doch nur gezwungen beugte, denn wo er die Anerkennung nicht selbst aufgebracht, wo er ihr nur zustimmen mußte, war sie ihm jedesmal schwer und fast peinlich.
Montag, den 24. Oktober. Der empfangenen Ein¬ ladung zufolge, stellte ich mich heute Nachmittag früh genug bei Jean Paul ein. Harscher behauptete, noth¬ wendig Briefe schreiben zu müssen, und blieb unbeweg¬ lich im Wirthshause. Jean Paul war eben von einem Spaziergange heimgekehrt, die Frau mit dem einen Kinde noch nicht zu Hause. Wir kamen auf seine Schriften, diese bei den meisten Autoren so bedenkliche Saite, welche der eine gar nicht berührt wissen will, der andre immerfort will klingen hören. Er war dabei so liebenswürdig, wie ich nie erwartet, frei, unbefangen und gründlich in seinem ganzen Wesen. Der Anlaß
ſagen pflegte, etwas wieder einfaͤllt, je mehr ſtaune ich! Sie iſt eine Kuͤnſtlerin, ſie hebt eine ganz neue Sphaͤre an, ſie iſt ein Ausnahmsweſen, mit dem gewoͤhnlichen Leben in Krieg, oder weit daruͤber hinaus; — und ſo muß ſie denn auch unverheirathet bleiben!“ Er pries mich gluͤcklich, eine ſolche Freundin zu haben, und fragte mich, gleichſam pruͤfend und meinen Werth meſſend, wodurch ich, noch ſo jung, mir das verdient habe? Ich gewann ſichtbar in ſeinen Augen durch dieſe Beziehung. Als ich am Abend dies alles Harſchern wiedererzaͤhlte, war auch dieſer ganz benommen von der Macht ſolcher Aeußerungen, denen er ſich doch nur gezwungen beugte, denn wo er die Anerkennung nicht ſelbſt aufgebracht, wo er ihr nur zuſtimmen mußte, war ſie ihm jedesmal ſchwer und faſt peinlich.
Montag, den 24. Oktober. Der empfangenen Ein¬ ladung zufolge, ſtellte ich mich heute Nachmittag fruͤh genug bei Jean Paul ein. Harſcher behauptete, noth¬ wendig Briefe ſchreiben zu muͤſſen, und blieb unbeweg¬ lich im Wirthshauſe. Jean Paul war eben von einem Spaziergange heimgekehrt, die Frau mit dem einen Kinde noch nicht zu Hauſe. Wir kamen auf ſeine Schriften, dieſe bei den meiſten Autoren ſo bedenkliche Saite, welche der eine gar nicht beruͤhrt wiſſen will, der andre immerfort will klingen hoͤren. Er war dabei ſo liebenswuͤrdig, wie ich nie erwartet, frei, unbefangen und gruͤndlich in ſeinem ganzen Weſen. Der Anlaß
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ſagen pflegte, etwas wieder einfaͤllt, je mehr ſtaune ich!
Sie iſt eine Kuͤnſtlerin, ſie hebt eine ganz neue Sphaͤre
an, ſie iſt ein Ausnahmsweſen, mit dem gewoͤhnlichen
Leben in Krieg, oder weit daruͤber hinaus; — und ſo
muß ſie denn auch unverheirathet bleiben!“ Er pries
mich gluͤcklich, eine ſolche Freundin zu haben, und fragte
mich, gleichſam pruͤfend und meinen Werth meſſend,
wodurch ich, noch ſo jung, mir das verdient habe? Ich
gewann ſichtbar in ſeinen Augen durch dieſe Beziehung.
Als ich am Abend dies alles Harſchern wiedererzaͤhlte,
war auch dieſer ganz benommen von der Macht ſolcher
Aeußerungen, denen er ſich doch nur gezwungen beugte,
denn wo er die Anerkennung nicht ſelbſt aufgebracht,
wo er ihr nur zuſtimmen mußte, war ſie ihm jedesmal
ſchwer und faſt peinlich.
Montag, den 24. Oktober. Der empfangenen Ein¬
ladung zufolge, ſtellte ich mich heute Nachmittag fruͤh
genug bei Jean Paul ein. Harſcher behauptete, noth¬
wendig Briefe ſchreiben zu muͤſſen, und blieb unbeweg¬
lich im Wirthshauſe. Jean Paul war eben von einem
Spaziergange heimgekehrt, die Frau mit dem einen
Kinde noch nicht zu Hauſe. Wir kamen auf ſeine
Schriften, dieſe bei den meiſten Autoren ſo bedenkliche
Saite, welche der eine gar nicht beruͤhrt wiſſen will,
der andre immerfort will klingen hoͤren. Er war dabei
ſo liebenswuͤrdig, wie ich nie erwartet, frei, unbefangen
und gruͤndlich in ſeinem ganzen Weſen. Der Anlaß
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/83>, abgerufen am 27.11.2024.
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