äußerste gekommen, wo es nur noch galt, sich bis zur Verzweiflung zu wehren, und lieber unterzugehen, als sich zu ergeben. Aber obgleich der Reichthum und Wohlstand der Hamburger nicht in ihren Wohnsitzen besteht, die ohne Freiheit wenig werth sind, und die Betriebsamkeit, die Kenntniß und das Vertrauen des Handels, ihr wahrer Reichthum, sie überall hinbegleitet hätten, so schauderten dennoch alle vor dem Gedanken, ihre Stadt den Flammen zu überantworten, und dem Feinde zum Gegenstande seiner Wuth nur als eine rauchende Brandstätte zurückzulassen. Als Tettenborn ihnen nichts mehr zu bieten hatte, als rothe Fahnen und Pechkränze, zogen sich die Unseligen zurück, für die es eine Wohlthat, nicht Grausamkeit, gewesen wäre, wenn man, sogar wider ihren Willen, das Heldenwerk Rostopschin's wiederholt hätte. Tausende haben es seitdem bereut, nicht diesen Untergang gewählt zu ha¬ ben, allein es war nöthig, daß erst die Wiederkunft der Franzosen mit allen Gräueln der überlegtesten, langsamen Zerstörung ihnen jene schnelle wünschens¬ werth machte!
Noch einmal erschien für Hamburg ein günstiger Sonnenblick, um dann ganz und für lange Zeit von seinem Himmel zu verschwinden. Der Kronprinz von Schweden hatte Hamburgs Schicksal zu Herzen genom¬ men, und endlich den Abgeordneten der Stadt seinen unverzüglichen Beistand zugesagt; am 27. Mai kam
aͤußerſte gekommen, wo es nur noch galt, ſich bis zur Verzweiflung zu wehren, und lieber unterzugehen, als ſich zu ergeben. Aber obgleich der Reichthum und Wohlſtand der Hamburger nicht in ihren Wohnſitzen beſteht, die ohne Freiheit wenig werth ſind, und die Betriebſamkeit, die Kenntniß und das Vertrauen des Handels, ihr wahrer Reichthum, ſie uͤberall hinbegleitet haͤtten, ſo ſchauderten dennoch alle vor dem Gedanken, ihre Stadt den Flammen zu uͤberantworten, und dem Feinde zum Gegenſtande ſeiner Wuth nur als eine rauchende Brandſtaͤtte zuruͤckzulaſſen. Als Tettenborn ihnen nichts mehr zu bieten hatte, als rothe Fahnen und Pechkraͤnze, zogen ſich die Unſeligen zuruͤck, fuͤr die es eine Wohlthat, nicht Grauſamkeit, geweſen waͤre, wenn man, ſogar wider ihren Willen, das Heldenwerk Roſtopſchin's wiederholt haͤtte. Tauſende haben es ſeitdem bereut, nicht dieſen Untergang gewaͤhlt zu ha¬ ben, allein es war noͤthig, daß erſt die Wiederkunft der Franzoſen mit allen Graͤueln der uͤberlegteſten, langſamen Zerſtoͤrung ihnen jene ſchnelle wuͤnſchens¬ werth machte!
Noch einmal erſchien fuͤr Hamburg ein guͤnſtiger Sonnenblick, um dann ganz und fuͤr lange Zeit von ſeinem Himmel zu verſchwinden. Der Kronprinz von Schweden hatte Hamburgs Schickſal zu Herzen genom¬ men, und endlich den Abgeordneten der Stadt ſeinen unverzuͤglichen Beiſtand zugeſagt; am 27. Mai kam
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aͤußerſte gekommen, wo es nur noch galt, ſich bis zur
Verzweiflung zu wehren, und lieber unterzugehen, als
ſich zu ergeben. Aber obgleich der Reichthum und
Wohlſtand der Hamburger nicht in ihren Wohnſitzen
beſteht, die ohne Freiheit wenig werth ſind, und die
Betriebſamkeit, die Kenntniß und das Vertrauen des
Handels, ihr wahrer Reichthum, ſie uͤberall hinbegleitet
haͤtten, ſo ſchauderten dennoch alle vor dem Gedanken,
ihre Stadt den Flammen zu uͤberantworten, und dem
Feinde zum Gegenſtande ſeiner Wuth nur als eine
rauchende Brandſtaͤtte zuruͤckzulaſſen. Als Tettenborn
ihnen nichts mehr zu bieten hatte, als rothe Fahnen
und Pechkraͤnze, zogen ſich die Unſeligen zuruͤck, fuͤr
die es eine Wohlthat, nicht Grauſamkeit, geweſen waͤre,
wenn man, ſogar wider ihren Willen, das Heldenwerk
Roſtopſchin's wiederholt haͤtte. Tauſende haben es
ſeitdem bereut, nicht dieſen Untergang gewaͤhlt zu ha¬
ben, allein es war noͤthig, daß erſt die Wiederkunft
der Franzoſen mit allen Graͤueln der uͤberlegteſten,
langſamen Zerſtoͤrung ihnen jene ſchnelle wuͤnſchens¬
werth machte!
Noch einmal erſchien fuͤr Hamburg ein guͤnſtiger
Sonnenblick, um dann ganz und fuͤr lange Zeit von
ſeinem Himmel zu verſchwinden. Der Kronprinz von
Schweden hatte Hamburgs Schickſal zu Herzen genom¬
men, und endlich den Abgeordneten der Stadt ſeinen
unverzuͤglichen Beiſtand zugeſagt; am 27. Mai kam
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/387>, abgerufen am 23.11.2024.
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